Streit um Bürgergeld: Einigkeit nur beim Thema Regelsatz-Erhöhung
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Die Jobcenter brauchen mehr Geld und die These, mit dem Bürgergeld lohne sich Arbeit nicht mehr, ist mindestens umstritten. Das sind nur zwei von vielen Erkenntnissen aus der Anhörung zum Bürgergeld-Gesetzentwurf der Bundesregierung und diverser Oppositionsanträge, die der Ausschuss für Arbeit und Soziales am heutigen Montag durchgeführt hat.
Mit ihrem Bürgergeld-Gesetz (20/3878), nach Koalitionsaussagen die größte sozialpolitische Reform seit vielen Jahren, möchte die Ampel-Regierung von SPD. Grünen und FDP „Hartz IV hinter sich lassen“. Geplant sind unter anderem eine „Kooperation auf Augenhöhe“ zwischen Arbeitssuchenden und Jobcenter-Mitarbeitern, die Einführung einer zweijährigen Karenzzeit, in der das Vermögen und die Angemessenheit der Wohnung nicht überprüft werden, die Stärkung von Weiterbildung durch finanzielle Anreize. Außerdem soll der Soziale Arbeitsmarkt verstetigt und Sanktionen deutlich abgemildert werden. Die monatlichen Regelleistungen werden um einen Inflationsausgleich deutlich angehoben. Abgeschafft werden soll auch der „Vermittlungsvorrang in Arbeit“. Stattdessen sollen Geringqualifizierte auf dem Weg zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung unterstützt werden, um ihnen den Zugang zum Fachkräftearbeitsmarkt zu öffnen. Eine umfassende Betreuung soll jenen Leistungsberechtigten helfen, „die aufgrund vielfältiger individueller Probleme besondere Schwierigkeiten haben, Arbeit aufzunehmen“.
Insbesondere Vertreter verschiedener Wohlfahrtsverbände und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), aber auch der Bundesagentur für Arbeit (BA) unterstützten die Pläne für das neue Bürgergeld und mahnten eine zügige Umsetzung an. Dass wesentliche Kernpunkte des Gesetzes (außer die Regelsatzerhöhung) nach neuesten Änderungen der Koalition nun erst zum 1. Juli 2023 in Kraft treten, sorgte unter anderem bei Eva Strobl von der BA für Erleichterung: „Die Arbeit der Jobcenter wird sich wesentlich verändern, dafür brauchen wir mehr Vorlaufzeit.“ Birgit Fix vom Deutschen Caritasverband betonte, es sei gut, wenn sich die Jobcenter nun auf ihre Kernaufgaben der Beratung und Vermittlung konzentrieren könnten. Um diese Ziele umzusetzen, müssten die Mittel im Haushalt 2023 aber deutlich aufgestockt werden. Das forderte auch Martin Künkler vom DGB. Ohne zusätzliches Geld für die Jobcenter werde es sehr schwierig, die neuen Schwerpunkte der Arbeitsvermittlung umzusetzen, die im übrigen zu komplex, schwierig und intransparent seien, kritisierte Markus Mempel vom Deutschen Landkreistag. Auch Anna Robra von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mahnte, die Änderungen müssten für die Jobcenter umsetzbar sein, dies könne sie angesichts der komplizierten Vorgaben nicht unbedingt erkennen, sagte sie. Mempel und Robra kritisierten außerdem die Regelungen zur Karenz- und Vertrauenszeit und die Abschaffung des Vermittlungsvorangs. „Das alles mindert Anreize, sich aus dem Bezug herauszuarbeiten“, sagte Robra. Mempel forderte, die Karenzzeit beim Bürgergeld, wenn an ihr festgehalten werden solle, auf sechs Monate zu verkürzen.
Zum Thema Lohnabstandsgebot sagte DGB-Vertreter Martin Künkler: „Der Abstand zwischen Lohn und Bürgergeld ist gewahrt.“ Er verwies unter anderem auf den gestiegenen Mindestlohn und kritisierte, dass viele Berechnungen zum angeblich zu geringen Abstand unsauber seien, da sie Leistungen wie Kinder- und Wohngeld nicht mitberücksichtigten. Auch Elena Weber von der Diakonie Deutschland konnte nicht erkennen, warum sich durch das Bürgergeld Arbeit nicht mehr lohnen solle. „Wenn Menschen von ihrer Arbeit nicht leben können, muss man zuerst die Frage nach den Löhnen stellen“, so Weber. BDA-Vertreterin Anna Robra hatte dazu eine andere Auffassung: „Der Kern des Problems ist, dass sich Arbeit dann nicht mehr lohnt, wenn ich mich aus dem Bezug herausarbeiten will.“ Deshalb müsste bei den Hinzuverdienstgrenzen nachgebessert werden, forderte sie.
Große Einigkeit herrschte unter den Expertinnen und Experten hingegen in der Frage, die Regelsätze ab Januar schnell zu erhöhen.
Martin Rosemann, arbeitspolitischer Sprecher von der SPD erklärte zur heutigen Anhörung:
Die heutige öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales hat den Kurs für das Bürgergeld aus Sicht der SPD-Fraktion bestätigt. Die Länder sind nun gefragt, die Verhandlungen über das Gesamtpaket schnellstmöglich abzuschließen.
„Die unabhängigen Sachverständigen geben dem Bürgergeld Rückenwind. Den Vorwurf der Union, dass sich Arbeit durch das Bürgergeld nicht mehr lohne, haben sie heute entkräftet.
Den von den Sachverständigen geforderten Anpassungen bei den Hinzuverdiensten kommt das zweite Bürgergeld-Paket nach. Ebenfalls bestätigte die Befragung, sich stärker auf gute Beratung und Bürokratieabbau zu konzentrieren. Der vorgesehene Fokus auf Weiterbildung wurde als notwendig eingeschätzt, um die Potenziale von Langzeitarbeitslosen für den Arbeitsmarkt zu heben. Deutlich wurde auch, dass die Ausgestaltung von Karenzzeit und Schonvermögen politisch zu klären sei. Dabei käme es darauf an, wie wichtig man die Bedeutung von Leistungsgerechtigkeit und Respekt vor Lebensleistung bewertet.
Die durch das Gesetz geschaffenen Rahmenbedingungen machen den Weg frei für eine bessere und zielgenauere Beratung. Die Bundesregierung setzt weiterhin auf das Prinzip des Förderns und Forderns mit dem Bürgergeld, gestaltet es aber zielgenauer und moderner aus.
Vor diesem Hintergrund sehen wir uns mit dem jüngst vorgelegten Kompromissvorschlag durch die heutige Anhörung klar bestätigt. Die Länder mit CDU-Regierungsbeteiligung sind jetzt am Zug, ihrerseits konkrete Vorschläge vorzulegen, um unnötige Verzögerungen aufgrund eines Vermittlungsverfahrens zu vermeiden. Es ist jetzt staatspolitische Verantwortung gefragt statt parteitaktischer Spielchen.“