Pflege wird zur Schicksalsfrage der Gesellschaft - Union macht Bundesregierung verantwortlich
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Laut Berichten soll die Pflegekasse bereits im nächsten Februar zahlungsunfähig sein. "Die finanzielle Lage der gesetzlichen Pflegeversicherung ist dramatischer als bisher öffentlich bekannt. Nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) aus Koalitionskreisen ist die Pflegeversicherung nach aktueller Einschätzung der Regierung bereits im kommenden Februar zahlungsunfähig, wenn nicht vorher eingegriffen werde", hieß es bereits in einer Meldung (wir berichteten).
In diesem Zusammenhang wurde auch von einer Erhöhung des Beitragssatzes zur Pflege, von 0,2 - 0,3 Prozent berichtet. Das belastet nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch Rentnerinnen und Rentner. Selbst Menschen die bereits Pflegeleistungen beziehen, sind von der Beitragserhöhung betroffen. Das sorgt aktuell für Kritik.
Die Union hat der Bundesregierung vorgeworfen, für die prekäre finanzielle Lage der Pflegeversicherung verantwortlich zu sein. „Die Bundesregierung fährt die Pflegeversicherung seit bald drei Jahren durch Nichtstun mit Ansage gegen die Wand“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Tino Sorge (CDU), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Jetzt räche sich, dass die Ampel dem Thema Pflege keine echte Priorität geschenkt habe. „Es drohen weitere Beitragssprünge für die Versicherten, die Stabilitätsgrenze von 40 Prozent ist längst Makulatur geworden", betonte er mit Blick auf die Höhe der Lohnnebenkosten. "Viel schlimmer noch, ein Kollaps der Pflegeversicherung droht Realität zu werden“, warnte der CDU-Politiker. Nun laufe der Ampelregierung jedoch die Zeit davon. „Wir brauchen einen Finanzierungsmix für die Pflegeversicherung, der neben Steuermitteln, öffentlicher und betrieblicher Vorsorge auch Elemente der Eigenvorsorge beinhaltet“, forderte der Gesundheitsexperte.
Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes zur aktuellen Finanzsituation der sozialen Pflegeversicherung: „Die Finanzsituation der sozialen Pflegeversicherung ist schlecht und das kann niemanden wirklich überraschen. Seit vielen Monaten wird von allen Seiten davor gewarnt, dass die Beitragseinnahmen der Pflegeversicherung nicht mit den Ausgaben Schritt halten können. Diese Entwicklung hat sich nun noch einmal verschärft, weil sich die Ausgaben dynamischer entwickeln, als noch vor Monaten erwartet. Wir rechnen bis zum Jahresende mit einem Defizit von knapp 1,8 Mrd. Euro. Damit die Zahlungsfähigkeit der Pflegeversicherung gesichert bleibt, wäre bei ansonsten ausbleibenden Reformen eine Anhebung der Beitragssätze um mindestens 0,25 Prozentpunkte zum 1. Januar 2025 notwendig.
Zwei Sofortmaßnahmen zur kurzfristigen Stabilisierung der Pflegeversicherung liegen auf der Hand und sollten umgehend umgesetzt werden, um eine Beitragssatzanhebung abzuwenden: Die Pflegeversicherung sitzt immer noch auf rund 5,3 Mrd. Euro Sonderausgaben aus Coronazeiten, mit denen der Staat sie allein gelassen hat. Wie in anderen Bereichen auch, muss diese Mehrbelastung durch den Bund ausgeglichen werden. Außerdem wird die Pflege durch die Übernahme der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige massiv belastet. In diesem Jahr schon mit rund 4 Mrd. Euro, in 2025 mit 4,5 Mrd. € und jährlich weiter ansteigend. Auch dies ist keine Aufgabe, die aus Beitragsmitteln, sondern eine staatliche Aufgabe, die aus Bundesmitteln zu finanzieren ist. Mit diesen rund 9 Mrd. Euro müssten wir nicht schon wieder über Beitragserhöhungen sprechen und es gäbe ein Zeitfenster, um die Pflegeversicherung solide zu reformieren.“
VdK-Landesvorsitzender Hotz fordert die Landesregierung auf, sich für die Zusammenführung von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung einzusetzen: „Warum sind Sie jetzt so überrascht? Wir als Sozialverband VdK Baden-Württemberg e. V. fordern die Landesregierung schon seit Jahren auf: Setzen Sie sich endlich für eine solide und nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung ein!“, so VdK-Landesvorsitzender Hans-Josef Hotz. Jeder, der sich sozialpolitisch auskenne, wisse, dass die gesetzliche Pflegeversicherung seit Jahren in einer finanziell schwierigen Lage ist.
„Wir sind enttäuscht, dass die einzige angebotene Lösung immer die Erhöhung der Sozialbeiträge sein soll. Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Jetzt im demographischen Wandel allein die gesetzlich versicherten Bürgerinnen und Bürger zu belasten, ist höchst unsolidarisch und eines Sozialstaats nicht würdig. Wir hätten keinerlei Finanzierungsproblem in der Pflegeversicherung, wenn die private und die gesetzliche Pflegeversicherung zusammengeführt würde und alle in die gleiche Kasse einzahlen. Im Übrigen würden die bisher privat Versicherten diese Veränderung nicht mal bemerken. Denn bei Pflegebedürftigkeit werden genau die gleichen Leistungen gewährt, – egal ob jemand privat oder gesetzlich versichert ist,“ erklärt VdK-Landesvorsitzender Hotz.
Bei der privaten Pflegeversicherung lagen zum Jahresende 2022 mehr als 49 Milliarden Euro auf Halde, die gesetzliche Pflegeversicherung hatte nur noch 5,6 Milliarden auf der hohen Kante. Und das bei nur rund neun Millionen privat Versicherten gegenüber 73,5 Millionen gesetzlich Versicherten. Dazu kommt: Von 100 privat Versicherten benötigten zuletzt im Schnitt 3,2 Personen Pflegeleistungen, bei den gesetzlich Versicherten 6,3 Personen. Pro Kopf fallen so jährlich nur 234 Euro in der privaten Pflegeversicherung an, in der gesetzlichen Pflegeversicherung fast 450 Euro mehr, nämlich 683 Euro pro Kopf.
Der Sozialverband VdK drängt darauf, die Pflegeversicherung als Ganzes zu reformieren. Verena Bentele: „Die Pflegeversicherung braucht eine Grundsanierung! Jetzt! Notfallpläne und kurzfristige Maßnahmen werden die vielen Löcher nicht mehr stopfen können, die es bei der Pflegeversicherung inzwischen gibt. Immer weitere kurzfristige Beitragssteigerungen belasten die Beitragszahlenden und führen zu massiver Verunsicherung bei Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Der Sozialstaat braucht Verlässlichkeit, er braucht stabile Einnahmen und die Solidarität aller.
Nach der Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge im Juli 2023 wird es im kommenden Jahr eine weitere Anhebung um mindestens 0,2 Prozentpunkte geben, es steht sogar eine Erhöhung um 0,3 Prozentpunkte im Raum. Doch auch diese Erhöhung wird die Finanzierung der Pflegeversicherung nur bis zum Frühjahr 2026 sichern.
Die Pflegeversicherung muss umfassend reformiert werden, um immer weiter steigende Beiträge zu verhindern. Die Politik muss dafür sorgen, dass endlich alle Bürgerinnen und Bürger, also auch Beamtinnen und Beamte, Abgeordnete und Selbstständige in die Pflegeversicherung einzahlen. Dabei müssen alle Einkunftsarten in die Beitragsrechnung einbezogen werden.
Versicherungsfremde Leistungen müssen durch Steuereinnahmen getragen werden und dürfen nicht die Pflegekasse belasten. Es ist unvermittelbar, dass Beitragszahlende gesamtgesellschaftliche Aufgaben übernehmen. Ein Beispiel: Aktuell fehlen der Pflegeversicherung sechs Milliarden, die durch Mehrkosten für Corona-Tests und Boni für das Personal entstanden sind. Insgesamt schätzt die Bundesregierung das Defizit der Pflegeversicherung für 2025 sogar auf 3,5 Milliarden Euro.
Im vergangenen Jahr wurde ein gerade erst eingeführter Steuerzuschuss zur Pflegeversicherung von einer Milliarde Euro bis 2027 ausgesetzt. Das muss rückgängig gemacht werden.
Außerdem ist es dringend nötig, die Beitragsbemessungsgrenze, ebenso wie die der Krankenversicherung, auf die Höhe der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung anzuheben. Das Verfahren zur Anpassung der Beitragsbemessungsgrenze muss zudem beibehalten werden und nicht aufgrund der Finanzinteressen von wenigen blockiert werden. Das schadet der Pflegeversicherung.“
Die DAK-Gesundheit fordert von der Bundesregierung, eine Beitragssatzerhöhung in der Pflegeversicherung zu vermeiden. Ein aktuelles Rechtsgutachten im Auftrag der Kasse zeigt auf, dass die Rückzahlung von Corona-Hilfen an die Pflegeversicherung zwingend geboten ist. Vor diesem Hintergrund fordert DAK-Vorstandchef Andreas Storm vom Bund die kurzfristige Rückzahlung von 6 Milliarden Euro. Erfolge die Rückzahlung nicht, sei dies laut Gutachten eindeutig verfassungswidrig und habe fatale Folgen. Mit der geforderten Finanzspritze kann der für 2025 drohende massive Beitragsanstieg in der Pflegeversicherung von rund 0,3 Prozentpunkten verhindert werden.
„Die Schuldenbremse darf nicht als Ausrede für rechtswidriges Handeln zulasten der Pflegeversicherung dienen. Eine Beitragserhöhung muss unbedingt vermieden werden“, sagt DAK-Vorstandschef Andreas Storm. „Das Ergebnis unseres Rechtsgutachtens ist eindeutig: In der Pandemie gab es einen Rückgriff auf Beitragsgelder, der angesichts der akuten Finanzprobleme zwingend korrigiert werden muss. Wenn die Rückzahlung nicht umgehend erfolgt, ist dies verfassungswidrig und hätte fatale Folgen. Der Pflegeversicherung droht in wenigen Monaten die Zahlungsunfähigkeit.“
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung