Regelsätze für Hartz IV und Grundsicherung steigen mehr als erwartet
- Lesezeit: 7 Minuten
Offensichtlich sollen die Regelbedarfe für Hartz IV und Grundischerung jetzt doch noch mehr angehoben werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales teilte dazu heute mit:
Das Bundeskabinett hatte am 19. August mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sowie des Asylbewerberleistungsgesetzes“ die Neuberechnung der Regelbedarfe und damit einen ersten Schritt der Fortschreibung beschlossen. Auf Basis der nun vollständig vorliegenden Daten für die weitere Fortschreibung konnte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Höhe der Regelbedarfsstufen, die ab 1. Januar 2021 gelten, abschließend berechnen. Dies erfolgt wie immer gemäß den gesetzlichen Vorgaben des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Demnach sind die Regelbedarfe bei Vorliegen der Ergebnisse einer neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) neu zu ermitteln. Sie werden entsprechend der Preisentwicklung für regelbedarfsrelevante Güter und Dienstleistungen sowie der Nettolöhne und -gehälter je beschäftigten Arbeitnehmer bis zum Zeitpunkt des geplanten Inkrafttretens fortgeschrieben. Beide Entwicklungen münden dabei in einen Mischindex, an dem die Preisentwicklung einen Anteil von 70 Prozent und die Nettolohn- und -gehaltsentwicklung einen Anteil von 30 Prozent hat.
Die nun vorliegenden endgültigen Berechnungen werden im Laufe des parlamentarischen Verfahrens über einen Änderungsantrag in den vorliegenden Gesetzentwurf eingearbeitet.
Bei der Leistungshöhe für die 6 bis 13-Jährigen ist zu berücksichtigen, dass deren Leistung zwar im nächsten Jahr nahezu konstant bleiben wird, diese Altersgruppe aber bei der letzten Neuberechnung für das Jahr 2017 weit überproportional profitiert hat (Anstieg von 2016 auf 2017: +21 Euro). Zudem wurden bei der Neuberechnung die Kosten der Telekommunikation erstmals vollständig berücksichtigt.
Ab dem 1. Januar 2021 ergeben sich für die Regelbedarfsstufen die folgenden monatlichen Regelbedarfsstufen in der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII und die diesen entsprechenden Beträgen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II:
Regelbedarfsstufe (RBS) | 20201) |
ab 1. Januar 2021 |
Veränderung in Euro |
RBS 1: Volljährige, die nicht in einer Partnerschaft lebend | 432 | 446 | +14 |
RBS 2: Volljährige Partner | 389 | 401 | +12 |
RBS 3: SGB XII: Volljährige | 345 | 357 | +12 |
Kinder im Alter von | |||
RBS 4: 14 bis 17 Jahre | 328 | 373 | +45 |
RBS 5: 6 bis 13 Jahre | 308 | 309 | +1 |
RBS 6: 0 bis 5 Jahre | 250 | 283 | +33 |
1) geltendes Recht
Zudem wird im nächsten Jahr die Leistung für den persönlichen Schulbedarf erstmals ebenfalls fortgeschrieben. Die Leistung für ein Schuljahr steigt von derzeit 150 Euro auf 154,50 Euro im Jahr 2021; davon werden zunächst 51,50 Euro für das Anfang 2021 beginnende zweite Schulhalbjahr gezahlt und 103 Euro für das darauf im Sommer 2021 folgende erste Schulhalbjahr.
Bundestag und Bundesrat müssen dem Gesetzentwurf - einschließlich der noch vorzunehmenden Ergänzung der Fortschreibung - noch zustimmen. Die abschließende Befassung durch den Bundesrat wird voraussichtlich Ende November erfolgen.
Sven Lehmann, Sprecher für Sozialpolitik der Bundestagsfraktion "Bündnis 90/Die Grünen" sagt dazu: „Eine Anhebung des Regelsatzes um 14 Euro für Erwachsene gleicht im Wesentlichen die gestiegenen Preise aus und verpufft damit. An der finanziellen Notlage von Menschen in Hartz IV und von armen Rentnerinnen und Rentnern ändert die Regelsatzanpassung real nichts. Es ist fahrlässig, dass die Bundesregierung die Regelsätze weiterhin politisch kleinrechnet und nichts gegen die wachsende soziale Ausgrenzung von Millionen von Menschen am unteren Einkommensrand unternimmt. Sehenden Auges nimmt die Bundesregierung die weit verbreitete materielle Unterversorgung von Millionen Menschen in Hartz IV und der Grundsicherung im Alter in Kauf. Weder ist mit diesen Leistungssätzen eine kostenminimale gesunde Ernährung noch soziale Teilhabe in der Gesellschaft möglich."
Zudem verdeutlichte Lehmann die Forderund der Grünen, den Regelsatz noch mehr zu erhöhen. "Wir fordern eine schrittweise Anhebung des Regelsatzes für Erwachsene auf 603 Euro im Monat. Auch untere und mittlere Einkommensgruppen profitieren von einer deutlichen Regelsatzerhöhung über eine Entlastung bei der Einkommensteuer. Wir Grüne werden unser alternatives Konzept der Regelsatzermittlung in den Bundestag einbringen und dann müssen Union und SPD Farbe bekennen.“, so Lehmann.
Kritik kommt auch vom Paritätische Wohlfahrtsverband. Dieser kritisiert die geplante Anpassung der Regelsätze als realitätsfern, nicht bedarfsgerecht und viel zu niedrig. Die geplante Anhebung zum 1.1.2021 um 14 Euro für (alleinstehende) Erwachsene und noch deutlich geringere Beträge für Kinder und Jugendliche sei „geradezu lächerlich niedrig“ angesichts der bitteren Lebensrealität armer Menschen in diesem Land. Der Verband wirft der Bundesregierung „statistische Trickserei und unverschämtes Kleinrechnen“ vor, Fehler und Schwächen der umstrittenen Methodik zur Regelbedarfsermittlung würden einfach fort- und festgeschrieben. Der Paritätische kündigt kurzfristig eigene Berechnungen für einen bedarfsgerechten Regelsatz an, der in der Höhe zumindest in bescheidenem Rahmen Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht.
„Es ist ein Trauerspiel und für die Betroffenen einfach nur bitter, wie wenig die Bundesregierung im wahrsten Sinne des Wortes für arme Menschen übrig hat. Was wir bei der Berechnung der Regelsätze erleben ist keine Statistik, sondern ihr Missbrauch“, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Besonders rigide zeige sich die Bundesregierung bei allem, was im weitesten Sinne mit sozialer Teilhabe zu tun hat: „Teilhabe am soziokulturellen Leben in der Gemeinschaft wird praktisch nur soweit bei der Regelbedarfsermittlung berücksichtigt, wie es außerhalb der Gemeinschaft stattfindet“, heißt es in einer Stellungnahme. „Es darf nicht sein, dass Armut in Deutschland für weitere fünf Jahre regierungsamtlich festgeschrieben wird. Anstatt sich hinter umstrittenen Statistiken zu verstecken, sollte sich die Politik endlich den Menschen zuwenden“, fordert Schneider daher mit Blick auf das laufende Gesetzgebungsverfahren.
Der Paritätische kündigt an, noch im September eigene Berechnungen für einen bedarfsgerechten Regelsatz vorzulegen. Bis zur ohnehin gesetzlich geforderten Neufestsetzung der Regelsätze zum 1.1.2021 fordert der Verband eine Soforthilfe durch eine monatliche Aufstockung der Regelsätze in Hartz IV und Altersgrundsicherung um 100 Euro pro Kopf, eine Einmalzahlung an alle Grundsicherungsbeziehenden von 200 Euro (Kosten zusammen: ca. 6 Mrd. Euro) sowie eine entsprechende Leistungsanpassung beim BAföG und im Asylbewerberleistungsgesetz.
Das die Regelsätze zu gering sind, ergab auch eine aktuelle Expertise (479 kb) des Paritätischen und wurde 2018 bereits von der UN in einem Bericht dargestellt. Trotzdem hält die Bundesregierung daran fest, dass der Regelsatz ausreichend sei.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung