GKV droht Rekordminus von 27,3 Milliarden Euro bis 2025
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„Die steigende Finanzlücke bis 2025 bedroht die Handlungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Wenn jetzt nicht gehandelt wird, droht den Versicherten schon 2023 der historisch größte Beitragssprung. Die aktuelle IGES-Analyse untermauert die Notwendigkeit eines Kassensturzes nach der Bundestagswahl und dringender Strukturreformen.“
Gründe für das drohende Milliarden-Defizit seien nicht nur die Bekämpfung der Corona-Pandemie, sondern auch die preistreibende Gesetzgebung der Bundesregierung in den vergangenen Jahren. Dazu kämen höhere Kosten aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts und die demographische Entwicklung.
Der von der Regierungskoalition am vergangenen Freitag mit Verabschiedung des Gesetzes zur Gesundheitsversorgungsweiterentwicklung (GVWG) bewilligte Zuschuss von sieben Milliarden Euro für die GKV reiche somit bei weitem nicht aus. Auch wenn das erste Quartal des Finanzjahres 2021 für viele gesetzliche Krankenkassen mit einer coronabedingten „Nachfrage-Delle“ startete, täusche dies nicht über die tatsächliche Finanzentwicklung der GKV hinweg, so Storm weiter.
„Eine wesentliche Ursache der verschlechterten Finanzperspektiven für die GKV ist, dass die Ausgaben im Trend stärker zunehmen als die Finanzierungsbasis“, analysiert Dr. Martin Albrecht Geschäftsführer und Bereichsleiter Gesundheitspolitik beim IGES Institut. „Die Entwicklung der Ausgaben der GKV hat sich von der Entwicklung der Einnahmen entkoppelt und die Finanzreserven der Krankenkassen können dies nicht mehr ausgleichen. Die von uns aufgezeigten Finanzszenarien bis 2025 zeigen auf, mit welchem Finanzierungsbedarf in der gesetzlichen Krankenversicherung in den kommenden Jahren gerechnet werden kann.“
Die IGES-Analyse für die DAK-Gesundheit untersucht auch die sogenannten versicherungsfremden Leistungen und die bisherige Gegenfinanzierung durch den Staat. Dazu zählen unter anderem die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern, Ehepartnern, Rentnern, aber auch das Erziehungs- und Mutterschaftsgeld. In der Analyse wird eine Auswahl versicherungsfremder Leistungen gezeigt mit einem finanziellen Finanzvolumen von rund 41 Milliarden Euro. Diesem Betrag steht nur ein regulärer Bundeszuschuss von 14,5 Milliarden Euro gegenüber. „Um die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung stabil zu halten, ist eine – ordnungspolitisch ohnehin gebotene – schrittweise Anhebung der Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen notwendig“, fordert DAK-Vorstandschef Andreas Storm als Konsequenz. „Wegen des gesamtgesellschaftlichen Charakters ist hier der Bundeshaushalt gefordert.“ Der Kassenchef appelliert an die künftige Bundesregierung, eine Definition versicherungsfremder Leistungen im Sozialgesetzbuch V aufzunehmen. Damit könne die Zuverlässigkeit und Transparenz der mittelfristigen Finanzplanung sowohl der GKV als auch des Bundeshaushalts gestärkt werden. „Darüber hinaus bedarf es umfassender Strukturreformen im Gesundheitswesen, um Effizienzpotenziale zu heben und gleichzeitig Versorgungsverbesserungen für die Versicherten zu ermöglichen.“
Auch der Bundesrechnungshof hat jüngst empfohlen, angesichts des absehbar steigenden Finanzierungsbedarfs der GKV, versicherungsfremde Leistungen so konkret wie möglich zu definieren und bei Bedarf zu aktualisieren.
Die aktuelle Finanzanalyse des Berliner IGES Instituts betrachtet erstmals die ökonomische Entwicklung der GKV bis 2025 in drei Szenarien. Demnach droht laut Basis-Szenario (mittlere Einnahmen- und Ausgabenentwicklung) bereits für das kommende Jahr ein Finanzloch von 8,6 Milliarden Euro. Ohne die sieben Milliarden Euro des gerade bewilligten zusätzlichen Bundeszuschusses handelte es sich tatsächlich um ein Defizit von 15,6 Milliarden Euro im Jahr 2022. Dies entspricht einem rechnerischen Zusatzbeitragssatz von 2,29 Prozent. Dies würde schon im nächsten Jahr den größte Beitragssatzanstieg in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung bedeuten Im Jahr 2025 könnte sich der zusätzliche Finanzbedarf laut Basis-Szenario bereits auf 27,3 Milliarden Euro erhöhen. Das käme dem größten Defizit in der GKV-Geschichte gleich und würde einen rechnerischen Zusatzbeitragssatz von 2,87 Prozent erfordern. Der durchschnittliche Beitragssatz läge damit 1,6 Prozentpunkte über dem aktuellen Wert und hätte sich mehr als verdoppelt. Wenn die kommende Bundesregierung die Sozialversicherungsbeiträge nicht über 40 Prozent anwachsen lassen und den Zusatzbeitragssatz bei 1,3 Prozent stabil halten wolle, bestehe dringender Handlungsbedarf, so Storm.
Zu der von der DAK in Auftrag gegeben Studie zur finanziellen Lage der gesetzlichen Krankenkassen erklärt Maria Klein-Schmeink (Grünen), Stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Gesundheitspolitik:
Es ist höchste Zeit, die Finanzierung unseres Gesundheitswesens endlich nachhaltiger und gerechter aufzustellen. Darum wollen wir in der nächsten Wahlperiode die Weichen für die Bürgerversicherung stellen. Durch die Einbeziehung aller in die Finanzierung eines leistungsstarken Versicherungssystems kann so auch vor dem Hintergrund künftiger Kostensteigerungen im Gesundheitswesen für eine stabile und solidarische Lastenteilung gesorgt werden. Versicherungsfremde Aufgaben sind dagegen durch einen Steuerzuschuss zu finanzieren.
Leistungskürzungen erteilen wir eine klare Absage. Allerdings muss die Versorgungslandschaft sich ändern. Gesundheit ist Daseinsvorsorge. Wir brauchen eine gute und aufeinander abgestimmte Versorgung, die den Bedarfen einer älter werdenden Gesellschaft gerecht wird.
Die Koalition hat strukturelle Probleme nicht angepackt und sich nicht darum gekümmert, dass ihre Gesetze gerecht und nachhaltig finanziert sind. Dazu wurden der gesetzlichen Krankenversicherung immer weitere Aufgaben zugewiesen, für die eigentlich nicht die Beitragszahler:innen zuständig sein sollten. Dazu gehören etwa der Freibetrag bei den Betriebsrenten, die Beiträge für die Empfänger:innen von Arbeitslosengeld II oder auch die kürzlich durch das Bundessozialgericht gestoppte Finanzierung von Aufgaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Damit muss Schluss sein.
Autor: md / © EU-Schwerbehinderung