Staatliche Notfall-App SALUS nicht barrierefrei?
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Gerade für Menschen die Sprachbehindert oder gehörlos sind, stellt das Absetzen eines Notrufes an Polizei oder Feuerwehr, immer wieder eine Herausforderung dar. Aus diesem Grunde wurde die Möglichkeit des „SMS to Fax“ geschaffen. Damit ist es möglich, mit Angabe bestimmter Daten, einen Notruf an die Polizei oder Feuerwehr abzusetzen.
Zukünftig soll sich das ändern. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, hat die Entwicklung einer App beauftragt, die unter den Namen SALUS angeboten werden soll. Problematisch könnte es jedoch mit der App werden, denn diese setzt neben einem Smartphone, auch die Verfügbarkeit von Internet voraus. Gerade das Internet (mobiles Internet wie LTE) ist in Deutschland nicht flächendeckend verfügbar, wie auch bei der Übergabe der Teilhabe-Empfehlung durch Jürgen Dusel (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung), dargestellt wurde. Deutschland bietet immer noch an über 5000 Orten, kein flächendeckendes Internet an. Selbst in Großstädten, darunter auch Berlin und Hamburg, haben im City- Bereich immer noch Funklöcher. Funklöcher, die dazu führen, dass internetbasierende Technologien zum auslösen von Notrufen, nicht funktionieren können.
Zwar stellt das Fax und auch SMS eine alte Technologie dar, jedoch ist diese zuverlässig und funktioniert meist auch dann noch, wenn das mobile Internet nicht verfügbar ist. Selbst die Übermittlung des Standortes ist damit möglich, wie auch die App von EU-Schwerbehinderung beweist.
Jens Beck (FDP) hat dazu eine Anfrage an die Deutsche Bundesregierung gestellt: Werden nach Kenntnis der Bundesregierung durch die Einführung der „Digitalen Notruf-App" für Menschen mit Behinderungen, deren Entwicklung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wurde (vergleiche Antwort auf die Kleine Anfrage auf Drucksache 19/7407), bisherige Notruf-Systeme für Menschen mit Behinderungen, wie unter anderem das SMS- bzw. das SMS-to-Fax-Verfahren, vollständig ersetzt , und falls ja, wie wird nach Einführung der Notruf-App sichergestellt, dass Menschen mit Behinderungen, die nicht im Besitz eines Smartphones sind, weiterhin einen barrierefreien Notruf absetzen können?
Die Bundesregierung schreibt dazu in ihrer Antwort: „Das Telekommunikationsgesetz sieht heute neben dem Sprachnotruf ausschließlich den Faxnotruf vor. Eine bundesweit einheitliche SMS-Notrufnummer existiert nicht, da eine Zuordnung der örtlich zuständigen Notrufabfragestelle bei einer SMS an eine zentrale Notrufnummer technisch nicht möglich ist“ – Verwunderlich ist diese Aussage schon, denn auch in anderen EU-Ländern gibt es funktionierende Technologien die das Absetzen einer SMS an Einsatzleitstellen mit Standortdaten, ermöglicht.
Eine weitere Aussage der Bundesregierung verwundert auch: „Im Mittelpunkt steht hier die möglichst genaue Ermittlung der Position der bzw. des Notrufenden. Die Möglichkeiten der möglichst genauen und automatischen Standortermittlung (Geoposition der bzw. des Notrufenden) sind ausschließlich mit einem Smartphone gegeben. Auch die Möglichkeiten, mit der Notrufabfragestelle auf einem alternativen Weg gleichwertig einer Sprachverbindung zu kommunizieren, lassen sich nur anhand der Nutzung von Smartphones erreichen. Um eine EU-rechtskonforme, bundesweit einheitlich verfügbare barrierefreie Notrufmöglichkeit zu schaffen, haben sich die Länder daher nach intensiven Konsultationen für die Einführung einer Notruf-App entschieden.“
Vermutlich ist der Bundesregierung entgangen, dass es am Markt sogar Handy- Modelle gibt, die über einen „SOS“ Notrufknopf verfügen und GPS eingebaut haben. Diese Modelle versenden in der SMS genaue Geodaten, so wie es auch die Notfall- App von EU-Schwerbehinderung macht.
Herr Jens Beeck (FDP) sagt dazu: "Aus Sicht der Freien Demokraten hat die Digitalisierung in einer Vielzahl von Bereichen großes Potential, die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen in erheblichem Maße zu verbessern. Die Notruf-App ist vor diesem Hintergrund eine richtige und wichtige Entwicklung. So verspricht die App insbesondere für Gehörlose und andere Betroffene eine erleichterte barrierefreie Kommunikation. Nicht hinnehmbar ist jedoch, wenn aufgrund fehlender Netzabdeckung Menschen der Zugang zu einem barrierefreien Notruf nicht möglich ist. Als FDP kritisieren wir schon lange das schleppende Tempo beim Netzausbau, unabhängig von Fragen einer Behinderung. Wir brauchen in ganz Deutschland verlässliches und schnelles mobiles Internet. Bedauerlich ist zudem, dass die Frage nach der Zukunft des Faxnotrufes vonseiten der Bundesregierung unbeantwortet bleibt. Denn Menschen ohne Smartphone sind von Notruf-App ausgeschlossen."
Frau Corinna Rüfer (Bündnis 90/Die Grünen) hat sich ebenfalls dazu geäußert: „Es ist zwar begrüßenswert, dass die Bundesregierung nach jahrelangen Debatten endlich tätig geworden ist und eine kostenfreie Notruf-App für gehörlose Personen entwickelt. Dieser Schritt ist überfällig, da schon seit Jahren Notruf-Apps existieren, die jedoch kostenpflichtig für die Nutzer*innen sind. Unverständlich ist jedoch, dass die Bundesregierung nicht vorsieht, einen Notruf auch per SMS absetzen zu können - wie es beispielsweise Österreich macht. Denn nicht alle Menschen besitzen ein Smartphone und selbst mit Smartphone besteht nicht immer eine ausreichend gute Internetverbindung. Außerdem würden davon auch nicht gehörlose Menschen profitieren, die beispielsweise in einer Gefahrensituation nicht telefonieren können.“
Die Bundestagsfraktion "Die Linke" hat ebenfalls dazu Stellung genommen: "In Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen einen bundesweiten, barrierefreien Notruf und den barrierefreien Zugang zum Notrufsystem für Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen festzuschreiben. Auch ist dabei das Recht auf angemessene Vorkehrungen gemäß der UN-BRK zu garantieren. Hierbei ist dem technischen Fortschritt Rechnung zu tragen und eine barrierefreie Notruf-App zu entwickeln und flächendeckend einzurichten; eine inklusiv angelegte Strategie für die Katastrophenabwehr und die humanitäre Hilfe für alle Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen in Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen zu entwickeln und zu verabschieden. Diese muss für alle barrierefrei zugänglich sein und angemessene Vorkehrungen müssen gewährleistet werden; in Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen das gesamte beteiligte Personal in Frauenhäusern und im gesamten Notruf- und Katastrophenhilfesystem im Sinne der UN-BRK über die Grundsätze der Barrierefreiheit und der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu schulen." Der von den Linken eingebrachte Antrag unter der Drucksache 19/14758 (233 KB) wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales, am 13.11.2019 abgelehnt.
In der Schlussfolgerung wird die neue App SALUS dafür sorgen, dass gerade gehörlose Menschen oder Menschen mit Sprachstörungen, die nicht über ein Smartphone verfügen keine Notrufe mehr absetzen können. Selbst wenn ein Smartphone vorhanden ist, wird es selbst in City- Bereichen vieler Großstädte zu Problemen kommen, wenn es um ein internetbasierendes Notruf- Verfahren geht. Seitens der Bundesregierung scheint das allerdings nicht weiter in Betracht zu kommen.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung