Deutliche Kritik an dem Entgeltsystem in Behindertenwerkstätten (WfbM)
- Lesezeit: 5 Minuten

Das Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten steht seit längerer Zeit aus verschiedenen Gründen in der Kritik. Deshalb soll ein Forschungsprojekt die Möglichkeiten einer Neugestaltung untersuchen. Auftraggeber ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Dabei ist klar: Neben dem Entgeltsystem sind auch andere Aspekte für gelingende Teilhabe am Arbeitsleben wichtig. Als Basis werden in dem Projekt juristische und statistische Fakten, aber auch Einschätzungen zum aktuell bestehenden Entgeltsystem ermittelt. Darauf aufbauend sollen Alternativen entwickelt und geprüft werden.
Weiterhin wird im Rahmen des Forschungsprojektes in den Blick genommen, welche Barrieren Menschen mit Behinderungen davon abhalten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt statt in einer Werkstatt tätig zu sein. Auch diese Fragestellung muss bei einer möglichen Neugestaltung des Entgeltsystems mitbedacht werden. Die Befragung hat das Hauptziel, die statistischen Fakten zum aktuellen Entgeltsystem zu ermitteln. Ein weiteres wichtiges Ziel ist es, Einschätzungen von Werkstattleitungen einzuholen.
Im Juli letzten Jahres startete die Befragung von Werkstattleitungen im Rahmen der Reform des Entgeltsystems. Sie hat das Ziel, die statistischen Fakten zum aktuellen Entgeltsystem zu ermitteln sowie Einschätzungen von Werkstattleitungen einzuholen.
Die BAG WfbM ist Mitglied der Steuerungsgruppe und hat die Entwicklung der Fragebögen aktiv begleitet.
Um valide Ergebnisse zu erhalten, ist eine breite Beteiligung der Werkstattleitungen an der Befragung unerlässlich. Die BAG WfbM bittet Ihre Mitglieder deswegen ausdrücklich, die Fragebögen auszufüllen und an die Institute zurückzusenden.
Am 6. Juni 2022 haben EU-Parlament, Rat und Kommission die Verhandlungen zur neue EU-Mindestlohn Richtlinie abgeschlossen. Der finale Text enthält ebenfalls einen Paragrafen, der den Mindestlohn für Menschen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung fordert. Für Deutschland wäre das ein Novum.
Die Forderung nach einer Reform des aktuellen Werkstattsystems für Menschen mit Behinderungen, wird bundes- und europaweit lauter. In Deutschland arbeiten derzeit über 300.000 Menschen mit Behinderungen in sogenannten Werkstätten. Dort haben sie keinen Arbeitnehmer*innen-Status oder Mindestlohn. Weniger als 1% der Menschen dort schaffen einen Übergang in den ersten Arbeitsmarkt. {Das steht der UN-Behindertenrechtskonvention klar entgegen, die Deutschland und die EU vor über 12 Jahren ratifiziert hat. Laut Artikel 27 haben „Werkstatt“- Beschäftigte das Recht darauf, „den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen“(Artikel 27 Abs.1). Sie dürfen nicht benachteiligt werden, steht im Grundgesetz (Artikel 3Abs.3 Satz 3 GG). Im Schnitt arbeiten die rund 300 Tausend Beschäftigten in den Werkstätten, 6,5 Stunden täglich. Eigentlich sollte man erwarten, dass für die Produktion solcher hochwertigen Produkte, die Beschäftigten in den Werkstätten, auch entsprechend entlohnt werden. Dem ist aber nicht so. Es gibt kein Mindestlohn und vielen Werkstattbeschäftigten bleibt nichts anders übrig, als ihr Gehalt mit Grundsicherung aufzustocken. Der Grund ist dabei die Bezahlung, die zwischen 1,35 Euro bis 2 Euro in der Stunde liegt.
Grüne Europaabgeordnete Katrin Langensiepen, Vize-Vorsitzende des Sozialausschusses kommentiert:
„Das ist ein wichtiger Schritt für die Behindertenbewegung. Damit wird klar ein mahnender Finger auf Deutschland gezeigt. Denn wir sind Spitzenreiter, was das System Werkstätten angeht. 320 000 Menschen arbeiten dort ohne Arbeitnehmer*innenstatus, Streikrecht und Mindestlohn. Das ein Skandal und verstößt gegen Menschenrecht.
Die UN, das Europaparlament und Aktivist*innen fordern schon seit Jahren nach einer Reform des Werkstattsystems. Deutschland wird nicht daran vorbeikommen und darf sich nicht weiter drücken, was unter anderem den Mindestlohn angeht aber auch mehr Chancen und Möglichkeiten für Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt.“