Jede dritte Neuanstellung in Deutschland mit befristetem Vertrag
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37,8 Prozent aller neu eingestellten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bekommen zunächst nur einen befristeten Arbeitsvertrag, so die neuesten verfügbaren Daten von Ende 2023. In der jungen Altersgruppe unter 25 Jahren erfolgte Ende vorigen Jahres sogar fast jede zweite Neuanstellung befristet. Immerhin sinkt die Quote langsam: Gegen Ende der Corona-Krise im 4. Quartal 2021 lag der Anteil befristeter Verträge an allen Neueinstellungen noch bei 42 Prozent. Dabei bestehen enorme regionale Unterschiede, die auch widerspiegeln, in welchen Branchen neu Eingestellte besonders häufig mit Befristungen konfrontiert sind. Bundesweit den höchsten Anteil (62,5 Prozent) befristet begonnener Beschäftigungsverhältnisse weist die Universitätsstadt Heidelberg mit ihrem großen Universitätsklinikum auf. Dicht gefolgt von Köln, wo Medien- und Werbewirtschaft ein erhebliches Gewicht haben und zuletzt 62,2 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Einstellungen befristet waren. An dritter Stelle folgt Potsdam (59,0 Prozent), was nicht zuletzt auf die dortige Filmindustrie zurückzuführen sein dürfte. Das zeigt eine neue Untersuchung von Forschern des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, die aktuelle Daten für alle kreisfreien Städte und Landkreise in Deutschland liefert.* Am anderen Ende der Statistik liegen Landkreise wie Tirschenreuth (16,8 Prozent), Neustadt an der Weinstraße (17,5 Prozent) und Coburg (19 Prozent), wo der Anteil der befristeten Anstellungen aufgrund ihrer Wirtschaftsstruktur relativ niedrig ist. Die regionalen Daten lassen sich auch über eine interaktive Karte und Datenblätter in der digitalen Datenbank „Arbeitsmarkt im Wandel“ (AIWA) der Stiftung abrufen.
„Nach wie vor sind viele Arbeitgeber der Meinung, Beschäftigte einfach mal unverbindlich `ausprobieren´ zu können. Insbesondere junge Menschen beim Einstieg ins Berufsleben erleben so problematische Phasen der Unsicherheit, die den Blick auf die Arbeitswelt auch über längere Zeiträume prägen können“, ordnet Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI, die Ergebnisse ein. „Dabei sticht unter anderem der Wissenschaftsbereich besonders negativ heraus. Generell gilt: Man kann nicht einerseits über Arbeitskräftemangel und `Brain Drain´ klagen und andererseits nach wie vor fast vier von zehn Neuanstellungen nur befristet vornehmen.“
Quoten bei Jungen sowie Beschäftigten im Rentenalter besonders hoch
Überdurchschnittlich stark von Befristungen betroffen sind weiterhin junge Beschäftigte, zeigt die Analyse der WSI-Experten Dr. Eric Seils und Dr. Helge Emmler, die auf administrativen Daten der Bundesagentur für Arbeit basiert. So bekamen von den neu Eingestellten unter 25 Jahren 48,4 Prozent nur einen befristeten Arbeitsvertrag, während das in der Altersgruppe zwischen 25 und 54 für 35,1 Prozent galt. Bei den Einstellungen von 55 bis unter 65-Jährigen sinkt der Anteil knapp unter ein Drittel (32,3 Prozent), steigt dann aber bei Neueinstellungen im Rentenalter wieder stark an: Über die Hälfte aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im Rentenalter wurden 2023 befristet abgeschlossen. In ihrer jüngst veröffentlichten Wachstumsinitiative plant die Bundesregierung, befristete Einstellungen im Alter zu erleichtern. „Ganz offensichtlich besteht aber kein Anlass, das Vorbeschäftigungsverbot bei befristeten Einstellungen im Rentenalter aufzuweichen“, sagt WSI-Forscher Seils. Wenn die Betriebe die Erfahrung und die Fähigkeiten dieser Altersgruppe in ihren Dienst stellen wollten, dann sei es an ihnen, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Schaut man auf die Qualifikation, müssen sowohl Beschäftigte ohne Ausbildungsabschluss (50,2 Prozent) als auch Hochschulabsolvent*innen (41,1) in einem neuen Job mit einem befristeten Vertrag Vorlieb nehmen. Deutlich niedriger ist der Anteil von Befristungen bei Einstellungen von Personen mit abgeschlossener beruflicher Ausbildung. Allerdings erhalten auch von ihnen 27,6 Prozent erstmal nur einen befristeten Job.
Besonders verbreitet sind befristete Neueinstellungen auch bei manchen Tätigkeiten: So werden Beschäftigte in den darstellenden, unterhaltenden Berufen in mehr als neun von zehn Fällen befristet eingestellt. Das gleiche gilt für Wissenschaftler*innen. Sehr niedrige und zudem seit einigen Jahren fallende Anteile an befristeten Einstellungen finden sich hingegen in den Hoch- und Tiefbauberufen sowie den Ausbauberufen (12,7 Prozent). Auch bei den oft gering entlohnten Arzt- und Praxishilfen wird nur noch in geringem Umfang (11,6 Prozent) befristet eingestellt.
Für ihre Untersuchung werteten Seils und Emmler die neuesten verfügbaren Prozessdaten der Bundesagentur für Arbeit zu Einstellungen aus, die sich auf das 4. Quartal 2023 beziehen. Die Prozessdaten sind aktueller als andere Datenquellen, und sie lassen sich detailliert regional auswerten. Dagegen ist es auf dieser Basis nicht möglich, zwischen Befristungen mit Sachgrund (z.B. Elternzeitvertretung) und ohne Sachgrund zu differenzieren.