Lebenshilfe-Einrichtung: Corona-infizierte Betreuer arbeiten weiter - Eine Bewohnerin verstorben
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Es klingt eigentlich unglaublich, ist aber in einer Einrichtung der Lebenshilfe bereits Anfang Oktober geschehen, in der 22 infizierte Bewohner gemeldet wurden. Die in Mellrichstadt (Landkreis Rhön-Grabfeld) befindliche Einrichtung meldete zudem 17 der 25 Mitarbeiter*Innen, als infiziert. Doch die Mitarbeiter*Innen durften, obwohl sie infiziert waren, weiter arbeiten.
UPDATE: Mittlerweile soll eine Bewohnerin an den Folgen der Corona-Erkrankung verstorben sein. Das berichtet "BR24".
Wie kann es sein, dass Mitarbeiter*Innen trotz Infektion weiter arbeiten dürfen und besteht auf dem Weg zum Arbeitsplatz nicht ein erhöhtes Infektionsrisiko? Die Geschäftsleitung teilte dazu mit: "Die MitarbeiterInnen, die trotz einer positiven Testung und häuslicher Quarantäne freiwillig ihren Dienst in der Wohnstätte verrichten, dürfen ausschließlich mit dem eigenen PKW zur Arbeit fahren. Auch Fahrgemeinschaften sind nicht erlaubt. Aufgrund der ländlichen Struktur und der Lage der Wohnstätte ist ein PKW und Führerschein für die Beschäftigung in unseren Einrichtungen in den allermeisten Fällen unabdingbar. Das öffentliche Nahverkehrsnetz ist auch aufgrund der notwendigen Schicht- und Dienstzeiten nicht nutzbar."
Das Gesundheitsamt Rhön-Grabfeld hatte eine Ausnahmeregelung erlassen, die das möglich macht, allerdings nur unter strengen Auflagen die seitens der infizierten Mitarbeiter*Innen eingehalten werden müssen. Die Mitarbeiter*Innen dürfen ihre Wohnung nur verlassen um zur Arbeit zu kommen. Dabei kümmern sich die Mitarbeiter*Inn ausschließlich um die ebenfalls infizierten Bewohner. Um Kontakt zu anderen Bewohner*Innen und Mitarbeitern zu verhindern, soll es einen eigenen Ein- und Ausgang für die betreffenden Mitarbeiter*In geben. Das es dabei nicht ohne Schutzkleidung geht, sollte aus dem Foto ersichtlich sein.
Der Vorstand der Lebenshilfe-Einrichtung wies zudem darauf hin: "Auf die Einrichtungsleitungen wurden in den vergangenen Jahren eine Vielzahl zusätzlicher Aufgaben übertragen, ohne dass dafür von den Verantwortlichen in der Politik auch nur eine Stunde Zeit refinanziert wird. Ein besonders eklatantes Beispiel hierfür ist der „Pandemiebeauftragte“ den jede Einrichtung natürlich ganz schnell installieren musste. Diese Aufgabe muss natürlich auch (genauso wie der Arbeitsschutz, der Datenschutz, die Arbeitsmedizin und die ganzen oft nutzlosen Statistiken) zusätzlich erledigt werden. Das so natürlich jeder Pandemieplan nur zu einem Ritt auf der Rasierklinge mit vermeidbaren Risiken für Bewohner und Mitarbeiter mutiert, sollte spätestens jetzt jedem klar werden. Das Gesundheitssystem und die soziale Arbeit werden seit Jahren kaputt gespart. Das funktioniert auch nur deshalb, weil man in den Ministerien genau weiß, dass Menschen die im Gesundheitssystem oder in der sozialen Arbeit tätig sind, niemanden halb versorgt verlassen, auch wenn die Arbeitszeit schon beendet ist. Die menschenwürdige Versorgung von Kranken, Alten und Menschen mit Behinderung sollte in einem der reichsten Länder der Erde selbstverständlich sein. Das dies nicht ohne mehr Geld möglich sein kann, muss uns allen klar sei; den politisch Verantwortlichen ebenso wie uns Bürgern, die offensichtlich nur noch Luxusprobleme haben, wie etwa, dass in diesem Jahr statt Sommer und Winterurlaub nur noch ein Urlaub möglich sein soll... und der noch nicht einmal im Ausland sondern nur im eigenen Land. Ob die Bundesregierung dieses Thema aufgrund der Tatsache, dass Mitarbeiter, die positiv getestet sind, auch noch arbeiten, aufgreifen wird wagen wir zu bezweifeln. Man wird ein solches „Problem“ einfach nicht nachvollziehen können, weil man nie in diese Lage kommen wird."
Das Landratsamt Bad Neustadt betont ausdrücklich, dass es sich um eine Ausnahmeregelung handelt. Selbst wenn es nur eine Ausnahmeregelung ist, so zeigt die Fall in Mellrichstadt, wie kritisch die personelle Situation in der Pflege und bei der Betreuung ist. Die Pandemie selbst sorgt bereits für eine allgemeine Ausnahmesituation im Bereich von Pflege, Einrichtungen und Gemeinschaftswohnanlagen. Jeder Ausfall von Personal wird die Situation in solchen Einrichtungen eher noch weiter verschlimmern, denn durch die Quarantänemaßnahmen in vielen Einrichtungen, sind die Betreuer*In meist noch die einzigen Ansprechpartner, die Bewohner*In in solchen Einrichtungen haben.
Ulla Schmidt, Bundesvorsitzende der Lebenshilfe forderte: „Menschen mit Behinderung müssen in Schnelltests auf Corona einbezogen werden!“ Dabei wird vermutlich das Risiko unterschätzt, was passieren würde, wenn Betreuungspersonal aufgrund einer Corona-Infektion ausfallen würde. Schmidt weiter: „Auch Menschen mit Behinderung leben in gemeinschaftlichen Wohnformen und müssen vor Infektionen wie auch unnötiger Isolation geschützt werden. Die Besuche ihrer Eltern und Geschwister sind für sie notwendig und schon im Frühjahr über Monate nicht möglich gewesen.“
Welche Lehren ziehen Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen aus der Corona-Pandemie? (809 kb) Aus der Pandemie sind sicherlich viele Lehren zu ziehen. Deutschland leidet offenichtlich unter dermaß großem Mangel an Personal, dass es zu solchen Ausnahmeregelungen wie in Mellrichstadt kommen musste um die Versorgung der Bewohner*In der Einrichtung nicht zu gefährden. Das aber damit auch andere gefährdet werden könnten, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, ist sicherlich jedem bewusst. Leider wird die Politik das Problem kurzfristig nicht beenden können, selbst wenn die notwendige Lobby da wäre, denn Personal hat leider nur eine Endlichkeit. Vermutlich wird man politisch wieder Flickschusterei betreiben, anstatt endlich die Ursachen anzugehen, damit solche Ausnahmeregelungen erst gar nicht erforderlich werden.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung