Klettern feiert Premiere bei den Special Olympics Nationalen Winterspielen in Thüringen
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Vor drei Jahren in Tokio gingen Sportkletterer zum ersten Mal bei Olympischen Spielen an den Start. In wenigen Tagen findet in der EnergieWände Kletterhalle der DAV Sektion Weimar ebenfalls eine Premiere statt: Klettern ist erstmals Teil der Special Olympics Nationalen Winterspiele (29. Januar bis 2. Februar), den Spielen für Menschen mit geistiger Behinderung. Klettern ist, wie übrigens auch Tanzen und Floorball, vor allem ins Programm der Winterspiele gerückt, weil es deutlich weniger Winter- als Sommer-Sportarten gibt.
Wer immer sich mit Klettern bei Special Olympics (SO) befasst, ist begeistert. „Wir erleben bei Menschen mit geistiger Behinderung einen absoluten Boom“, sagt Markus Reichart, der Nationale Koordinator für Klettern bei Special Olympics Deutschland (SOD). „Es kommen immer mehr. Die Szene wächst.“ In Weimar, neben Oberhof und Erfurt die dritte Ausrichterstadt der Nationalen Winterspiele, werden mehr als 80 Athlet*innen an den Start gehen.
Deutschland ist Vorreiter, was das Klettern als SO-Wettbewerb betrifft. Seit drei, vier Jahren werden bereits Wettbewerbe angeboten, unter anderem die Anerkennungswettbewerbe, bei denen sich die Athlet*innen für die Nationalen Spiele qualifizieren können. International ist Klettern noch nicht im Wettkampfprogramm, auch nicht bei den Winter-Weltspielen 2025 in Turin, was Reichart sehr bedauert. Denn Klettern ist eine ideale Sportart für Special Olympics, fordert Körper und Geist, Koordination und Konzentration, entwickelt Selbstvertrauen und Vertrauen in andere. „Es ist ja nicht nur dieses Hochkraxeln“, sagt Elisabeth Bock, Trainerin bei der Sektion Weimar im Deutschen Alpenverein (DAV). „Das Köpfchen ist gefragt. Man muss beim Klettern ganz schön mitdenken.“ Und Hände, Füße und Kopf koordinieren. „Am Anfang fällt das manchen schwer. Aber es ist so schön, dass wir gute Entwicklungen und große Fortschritte erleben“, sagt Bock.
Für noch wichtiger hält die Weimarer Trainerin die Verantwortung, die mit dem Klettern einhergeht. „Am Seil hängt ja immer nur einer“, sagt sie, „und einer sichert unten“. Natürlich werden die SO-Athlet*innen auch im Sichern ausgebildet. Zu großen Teilen sichern sie sich gegenseitig, zum Teil allein, zum Teil mit Unterstützung der Trainer*innen. „Es stärkt ganz enorm das Selbstbewusstsein, wenn die Athleten selbst sichern“, sagt Elisabeth Bock. „Das ist eine große Verantwortung. Ich habe jemandes Leben in der Hand. Wenn ich jetzt loslasse, kann er runterfallen“. Deshalb klettert auch keine*r los, ehe die Trainer*innen nochmal alles kontrolliert haben.
Markus Reichart ist ein Argument für das Klettern besonders wichtig: „Unsere Athlet*innen gehen wie alle in öffentliche Kletterhallen, es gibt so viel Kontakt zu anderen Menschen“, sagt er, „Menschen mit geistigen Behinderungen werden oft wie in Watte gepackt und sind oft für sich. Sie gehen so gerne in die Kletterhallen, da können sie ins Leben eintauchen und einfach mitmachen.“ Es sei gelebte Inklusion, sagt auch Trainerin Bock. Einige ihrer Athlet*innen helfen zum Beispiel mit, wenn Kinderklettern ist. „Die Kontakte tun ihnen gut. Wir sind in der Sektion absolut mit einbezogen.“
Der Deutsche Alpenverein (DAV) hat schon vor 20 Jahren begonnen, Klettern für Menschen mit Behinderungen anzubieten. Mittlerweile hat er dafür eine Zusatzausbildung für seine Übungsleitenden im Programm. Mehr als 30 Sektionen des DAV haben bereits inklusive Sportkletter-Gruppen für Erwachsene oder Kinder. Elisabeth Bock berichtet, dass ihre Sektion vor zehn Jahren vor dem Bau ihrer Kletterhalle Wert darauf gelegt hat, sie möglichst einem breiten Publikum zugänglich zu machen und alle teilhaben zu lassen – so ist es dann auch gekommen. Und so planen und organisieren viele Vereine im DAV von Anfang an inklusiv, sowohl was Zugänglichkeit, Training oder Wettbewerb anbelangt.
Die Athlet*innen danken es ihnen. Elisabeth Bock berichtet von ihren schönsten Rückmeldungen. Nicht nur, dass sie sich von Woche zu Woche auf ihr Training freuen, einer ihrer Schützlinge hat ihr berichtet, dass er in seinem Leben noch nie psychisch so stabil war und nie mehr stationär eingewiesen werden musste, seit er klettert. Einem anderen macht das Klettern so viel Spaß, dass er extra dafür zehn Kilogramm abgenommen hat. Und Markus Reichart hat beobachtet, dass das Klettern vielen ein ganz neues Lebensgefühl gibt: „Sie tragen nach und nach auch die typischen Klamotten, und jeder hat eine coole Mütze auf. Sie gehören einfach dazu.“