Krankenkassen kritisieren Lauterbachs Pflegereform: "Zu kurz gegriffen"
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Die gesetzlichen Krankenkassen haben die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Rahmen einer Pflegereform geplanten Leistungsverbesserungen und die vorgesehenen Schritte zur Stabilisierung der Finanzlage als völlig unzureichend kritisiert.
Der Versuch, einen Ausgleich für die gestiegenen Pflegekosten für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen zu schaffen, „muss weitestgehend als zu kurz gegriffen bewertet werden“, heißt es in einer Stellungnahme des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen zum Entwurf des „Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes“, der dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND/Mittwoch) vorliegt. Der Verband bezweifelt zudem, ob die geplante Beitragsanhebung von 3,05 auf 3,4 Prozent überhaupt ausreicht, um die Pflegeversicherung bis zum Ende der Wahlperiode 2025 sicher zu finanzieren.
„Aufgrund der offensichtlich innerhalb der Regierungskoalition bestehenden gegenläufigen Prioritätensetzungen entsteht eine Situation, in der ein ganzer Sozialversicherungszweig in Bezug auf die finanzielle Ausgestaltung zusehends nicht mehr angemessen seinem Auftrag zur Absicherung eines zentralen Lebensrisikos – hier das Risiko der Pflegebedürftigkeit - nachkommen kann“, beklagt der Verband in seiner Bewertung des Gesetzentwurfs. Das lasse sich auch nicht durch eine kreditfinanzierte Überbrückung fehlender Einnahmen verschleiern“, heißt es weiter.
Der Verband kritisiert vor allem die angesichts der Inflation unzureichende Erhöhung der Leistungen für zu Hause gepflegte Menschen. Die vorgesehene Begrenzung der Dynamisierung auf 5 Prozent bilde die realen Preisentwicklungen nicht ausreichend ab, so die Kassen.
Für das laufende Jahr werde durch die Reform zwar eine „Stabilisierung der angespannten Finanzsituation“ erreicht, schreibt der Verband weiter. „Ob sie die soziale Pflegeversicherung bis ans Ende der Legislaturperiode finanziell stabilisieren kann, ist dabei aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes jedoch keinesfalls sichergestellt“, warnen die Kassen.
Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg kritisiert den Entwurf als "unausgewogen und zu kurz gedacht". "Die Anhebung der Pflegeleistungen ist ein richtiger und wichtiger Schritt zur Entlastung Pflegebedürftiger und der pflegenden Angehörigen. Wir müssen allerdings ernüchtert zur Kenntnis nehmen, dass auch bei der Pflegeversicherung die Hauptlast von den Beitragszahlenden getragen werden soll. Diese Entwicklung haben wir auch in der Krankenversicherung beim GKV-Finanzstabilisierungsgesetz gesehen. In beiden Fällen ist der Griff in das Portemonnaie der Beitragszahlenden unausgewogen und zu kurz gedacht. Entgegen der Zusagen im Koalitionsvertrag fehlt im Entwurf für das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz die Finanzierung von versicherungsfremden Leistungen durch den Bund. Dass sich die Koalition hier aus der Verantwortung stiehlt, führt dazu, dass die Pflegeversicherung, die sich ohnehin schon in finanzieller Schieflage befindet, auch weiterhin ohne sicheres Fundament bleibt.“ Gesamtgesellschaftliche Aufgaben, wie etwa Ausbildungskosten und pandemiebedingte Zusatzkosten seien somit kaum noch zu stemmen, kritisiert der AOK-Chef weiter. „Was die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Juli 2023 angeht, bleiben die Arbeitgeber und genauso alle anderen Stellen, bei denen die Beiträge abgeführt werden müssen, sowie wir als Pflegekasse mit einem großen Fragezeichen zurück und stehen vor einer kaum lösbaren Herausforderung.“ Die genaue Anzahl der zu berücksichtigenden Kinder sei derzeit nicht bekannt und in der Kürze der Zeit auch nicht ermittelbar. Infolgedessen sei die geplante Entlastung von Mitgliedern mit mehr als einem Kind erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt realisierbar. Der Entwurf bleibe zudem Ansätze für dringend notwenige strukturelle Änderungen zum Aufbrechen der Sektorengrenzen in der Pflege schuldig: „Die Leistungen müssen sich daran orientieren, wo die pflegebedürftigen Menschen leben wollen und wo sie Leistungen benötigen,“ so der Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg.
Bauernfeind resümiert: „Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt in den nächsten Jahren kontinuierlich weiter. Es ist dringend erforderlich, dass die Finanzierung der Pflegeversicherung endlich zukunftsfähig und nachhaltig geregelt wird.“
Der Referentenentwurf des PUEG sieht zum 1. Juli 2023 eine Erhöhung des Beitragssatzes um 0,35 Prozentpunkte vor, durch die die Pflegeversicherung finanziell stabilisiert werden soll. Das Gesetz soll insbesondere die häusliche Pflege stärken. So sollen unter anderem das Pflegegeld und die ambulanten Sachleistungsbeträge ab dem kommenden Jahr um fünf Prozent angehoben werden. Ein gemeinsamer Jahresbeitrag für die Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie die Ausweitung des Pflegeunterstützungsgeldes sollen pflegende Angehörige entlasten. Auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge Eltern mit mehreren Kindern weniger für die gesetzliche Pflegeversicherung zahlen sollen als kleinere Familien und Kinderlose, hat Eingang in den Gesetzentwurf gefunden. Demzufolge sollen Mitglieder mit mehreren Kindern einen je Kind um 0,15 Beitragssatzpunkte reduzierten Beitrag zahlen. Ab dem sechsten Kind bleibt der Abschlag in Höhe von 0,6 Beitragssatzpunkten gleich. Was der Gesetzentwurf nicht mitliefert, sind sinnvolle und nachhaltige Finanzierungsansätze für diese Maßnahmen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf müssen sämtliche reformbedingte Mehrausgaben und das strukturelle Defizit durch die Beitragszahlenden finanziert werden.