Menschen mit Behinderungen im deutschen Gesundheitssystem
- Lesezeit: 7 Minuten
Zur Erarbeitung eines Aktionsplans für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen, ist das Bundesgesundheitssystem in Verantwortung, heißt es sinngemäß in einer Antwort die seitens der Bundesregierung in Drucksache 20/6779. Die Drucksache beinhaltet einen Fragekatalog der Union zum Thema "Menschen mit Behinderungen im deutschen Gesundheitssystem".
Enttäuschend sind die Antworten allerdings, wie bereits der Abgeordnete Hubert Hüppe (CDU) in einem Statement angemerkt hat (wir berichteten: Hüppe: Ampel-Koalition schiebt barrierefreies Gesundheitssystem auf die lange Bank). Gerade das Kernthema "barrierefreie Arztpraxen", immer wieder gefordert, ist ein Anliegen vieler behinderter Menschen. Aber man will was tun und, so schreibt die Bundesregierung: "Die von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) zur Finanzierung von Fördermaßnahmen zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu bildenden Strukturfonds können unter Abwägung der Dringlichkeit der jeweiligen Sicherstellungszwecke auch Mittel für Maßnahmen zur Förderung barrierefreier Praxen einsetzen, wie zum Beispiel als Zuschläge zu den Investitionskosten oder zur Vergütung. Auch die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen können zur Finanzierung entsprechender Maßnahmen einen Strukturfonds bilden. Darüber hinaus prüft die Bundesregierung im Rahmen der Umsetzung eines Aktionsplans für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen, welche Maßnahmen geeignet sind, den Anteil barrierefreier Praxen zu erhöhen."
Bei der Digitalisierung, gerade im Gesundheitswesen, ist eine barrierefreie Nutzung der entsprechenden Apps, nahezu unausweichlich, um Barrierefreiheit sicherzustellen. "Die Strategie gibt der digitalen Transformation in diesem Bereich eine klare Richtung und ein Zielbild, indem transparent übergreifende und konkrete Ziele und Maßnahmen formuliert werden. Sie verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der sich am Menschen orientiert. Das bedeutet konkret, dass mit ihr ein Beitrag zur Überwindung der Sektorengrenzen geleistet und dabei die Bedarfe der Versorgenden und der Versorgten konsequent in den Mittelpunkt gerückt wird. Dazu gehört ausdrücklich auch das Thema Barrierefreiheit", so die Bundesregierung. Dabei wird von der Bundesregierung auch dargestellt, dass "die Berücksichtigung der Barrierefreiheit gesetzlich vorgegeben und ein fester Bestandteil der technischen Spezifikationen" ist.
Für die elektronische Patientenakte (ePA) wird die barrierefreie Nutzung besonders wichtig. Das hat offensichtlich auch die Bundesregierung mitberücksichtigt: "Insbesondere die im Koalitionsvertrag vorgegebene Transformation der elektronischen Patientenakte (ePA) zu einer widerspruchsbasierten ePA für alle hat unter anderem auch das Ziel, dass alle Versicherten an den Vorzügen der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung teilhaben können".
Wenn die Bundesregierung schreibt, dass die Bundesregierung in einem regelmäßigen Austausch mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist um auf "eine Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Behinderungen hinzuwirken," dann ist das zwar eine Absicht, die gut und richtig ist, doch in der Praxis sieht das immer noch anders aus.
Wesentlich ist, darauf weist die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hin, dass Barrierefreiheit "bei der Betrachtung von Einrichtungen dabei nicht als dichotome Eigenschaft zu verstehen" ist, also nicht als "vorhanden" oder "nicht vorhanden" eingeordnet werden kann. "Die Barrierefreiheit einer Praxis unterscheidet sich nach Betroffenengruppen und Art der Beeinträchtigung erheblich," so die KBV.
Die KBV selber gibt an, Vertragsärztinnen und Vertragsärzten, zahlreiche Informationen wie "Barrieren identifizieren – Auf dem Weg zur barrierearmen Praxis" bereit zu stellen. Das die Bundesregierung bei der Erstellung eines Aktionsplanes sich auch der Frage befasse "wie die Barrierefreiheit von Arztpraxen über die bereits bestehenden Möglichkeiten hinaus weiter gefördert werden kann," ist in der Absicht sicherlich gut, aber im Ergebnis von Betroffenen kritisch betrachtet, da die UN-Behindertenrechtskonvention, aber auch andere baurechtliche Möglichkeiten, nicht erst im Jahr 2023 entstanden sind. Umso mehr verwundert die Kritik von Hubert Hüppe der betonte: "Die Beteiligung von Menschen mit Behinderung bei wichtigen Gesetzesvorhaben wird von der Ampel-Regierung zwar immer wieder versprochen, entpuppt sich allzu häufig jedoch als Lippenbekenntnis."
Wenn dabei von Hüppe geschildert wird: "Die Betroffenen schilderten, auf wie viele Barrieren sie im Gesundheitswesen immer noch stoßen. Für mobilitätseingeschränkte Personen stellt die fehlende Barrierefreiheit der meisten Arztpraxen und Behandlungszentren oder das Nichtvorhandensein eines Bettenlifts im Krankenhaus einen massiven Einschnitt in die gleichberechtigte Teilhabe dar. Die wenigsten Kliniken sind darauf eingestellt, dass Patienten in Gebärdensprache kommunizieren oder bei schriftlichen Informationen auf Brailleschrift oder Leichte Sprache angewiesen sind. Auch wurde von Berührungsängsten beim medizinischen Personal gegenüber Menschen mit Behinderung berichtet, was darauf zurückzuführen ist, dass das Thema in den medizinischen Ausbildungen kaum vorkommt."
Hüppe hat damit einige Kernpunkte getroffen, doch das Thema ist komplexer, denn gerade Menschen mit psychischen Behinderungen finden in der Betrachtungsweise nur wenig Berücksichtigung, werden oft aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, oft nicht als Mensch mit Behinderungen, eingeordnet. Genau diese Menschen bedürfen aber eine besondere Form der Barrierefreiheit, die weit über das hinausgeht, was an barrierefreien Mitteln in Arztpraxen oder andern Gesundheitseinrichtungen, vorzufinden ist.
Es gibt für Arztpraxen, gerade welche im Bestands- oder Altbau, allerdings ein Problem, wenn es darum geht, die Praxis barrierefrei zu gestalten. Dabei sind es weniger die baurechtlichen Fragen, sondern vielmehr die Finanzierung des barrierefreien Umbaus. Schon heute haben viele Praxen kaum finanzielle Rücklagen, um in ihre Praxen zu investieren, gerade unter dem Aspekt steigender Lohnkosten, werden Arztpraxen zusätzlich belastet.Die Ampel-Regierung hatte im Koalitionsvertrag versprochen, bis Ende 2022 einen „Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen“ unter Beteiligung der Betroffenen zu erstellen. Auf der Veranstaltung darauf angesprochen, konnte die zuständige Staatssekretärin aus dem Gesundheitsministerium, Sabine Dittmar, nicht mal einen zeitlichen Ausblick für den Beteiligungsprozess geben. Das Ministerium habe bisher andere Prioritäten gehabt.
Für Menschen mit Behinderung ist es ernüchternd festzustellen, welchen Stellenwert der barrierefreie Zugang zum Gesundheitswesen für das Gesundheitsministerium hat.
"Ein neues Förderprogramm zur Unterstützung der Schaffung von barrierefreien Arztpraxen und anderer medizinischer Einrichtungen z. B. aus KfW-Mitteln ist derzeit nicht geplant und wird als nicht erforderlich erachtet", beschreibt die Bundesregierung und weist auch darauf hin, "dass aufgrund des breiten Förderansatzes der KfW-/ERP-Förderkredite auch Investitionen in die Barrierereduzierung förderfähig sind. Daher können bereits heute die KfW-/ERP-Förderkredite zur Finanzierung von Investitionen in die Barrierereduzierung freiberuflicher Praxen, Betriebe und Kanzleien in Anspruch genommen werden."
Die Frage: "Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die außerklinische Intensivpflege auch tatsächlich in der eigenen Häuslichkeit z. B. bei beatmeten Patienten auch verwirklicht werden kann?", ist insofern nicht uninteressant, da es gerade im Bereich der Intensivpflege immer wieder Befürchtungen gibt, dass betroffene Menschen in Pflegeeinrichtungen abgeschoben werden. Das oft nicht aus dem Willen Angehöriger, sondern auf Verlangen der Pflegekassen die durch gutachterliche Maßnahmen entsprechende "Einschätzungen" als Ansatz verwenden, den Angehörigen Pflegeleistungen zu entziehen und dadurch eine Einlieferung in eine Einrichtung erforderlich wird. Eine durchaus problematische Situation, denn auch der Bedarf an Intensivpflege, verwirrt nicht das Recht auf selbstbestimmtes Leben.
Die Bundesregierung betonte zu der Frage: "Das Wahlrecht der Patientinnen und Patienten, an welchem Ort die außerklinische Pflege intensivmedizinisch stattfindet, bleibt erhalten. Auch die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit bleibt weiterhin möglich. An jedem Leistungsort der außerklinischen Intensivpflege ist dem Medizinischen Dienst die Gelegenheit zu geben, vor Ort zu prüfen, ob eine qualitätsgesicherte Pflege dort tatsächlich und dauerhaft möglich ist. Qualitätsmängel in der außerklinischen Intensivpflege können schwere, sogar lebensbedrohliche Konsequenzen für die betroffene Person haben. Deswegen ist die unabhängige Prüfung des Medizinischen Dienstes an dieser Stelle sehr wichtig."
Autor: kro / © EU-Schwerbehinderung
EU-Schwerbehinderung Tag: Gesundheitssystem, Arzt, Praxis, Vorschrift, Barrierefreiheit, Assistenz, Bundesregierung, Stellungnahme, Drucksache, 20/6779, Nachrichten, News, Behindertenpolitik, Inklusion, Teilhabe, Barrierefreiheit, Pflege, Schwerbehinderung, Behinderung, Rente, Rentenpolitik, Berichte, Informationen, Liveticker, Newsticker, Nachrichten-App, News-App, Medien, Politik, Wirtschaft, Finanzen, Kultur, Literatur