RISG: Haben die Gegner alles falsch verstanden?
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Glaubt man den Worten des Bundesministeriums für Gesundheit, das wir um ein Statement gebeten haben, müssen die Gegner des Intensivpflege- Schwächungsgesetz alles falsch verstanden haben. Also auch der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel.
Zum Hintergrund: Seitens des Bundesministeriums für Gesundheit hat es einen Referentenentwurf zu einem "Intensivpflege- Schwächungsgesetz" gegeben (RISG). Dieses Gesetz erweckt aber den Eindruck, dass Intensiv- Beatmungspatienten, die eine intensive Betreuung benötigen, "weg gesperrt" werden. In Folge kam es zu Protestaktionen, u.A. am Tag der offenen Tür vor und im Bundesministerium für Gesundheit. Weitere Kritik folgte von Jürgen Dusel, der ebenfalls den Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention angesprochen hat und in dem Gesetz einen deutlichen Verstoß gegen den Artikel 19 sieht. Auch andere Vereine und Verbände äußern mittlerweile Kritik an Spahn seinen Ideen. Die Online- Petition bei Change.org geht ebenfalls weiter und hat mittlerweile über 65000 Unterzeichner/In (hier zur Petition). Über 65000 Menschen die etwa den Referentenentwurf falsch verstehen sollen?
Wir haben Bundesministerium um ein Statement gebeten, das wir hier einmal 1:1 wiedergegeben und entsprechend kommentiert haben:
"Grundsätzlich befinden wir uns ganz am Anfang der Beratung. Es liegt bislang nur ein Referentenentwurf vor, der jetzt mit Ländern, den Verbänden und koalitionsintern mit den Ressorts abgestimmt wird. Insofern nehmen wir natürlich auch Kritik an dem Entwurf ernst und in die Beratungen mit auf. Sie ist so ist sogar ausdrücklich willkommen. ", heißt es in der Antwort, die wir erhalten haben. Somit ist in der Diskussion noch alles offen?
"Ziel des Entwurfs ist, die Qualität in der ambulanten intensivmedizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen zu verbessern, die 24/7 von Pflegefachkräften betreut werden müssen. Das betrifft vor allem Beatmungspatienten und insbesondere Wachkoma-Patienten. Wir reagieren damit auf Forderungen von Betroffenen und Angehörigen sowie auf kriminelle Machenschaften in der ambulanten Intensivpflege. " - Das die kriminellem Machenschaften in der ambulanten Intensivpflege beendet werden müssen, das wird bestimmt von vielen Unterstützt. Nur wo sind die vielen Betroffenen und Angehörigen? Die haben wir in den ganzen Protesten nicht beobachten können. Zur Beseitigung der kriminellen Machenschaften, gibt es mit Sicherheit auch andere Möglichkeiten, bspw. durch entsprechend geschultes Personal, welches bei den Pflege- Beratungsgesprächen genau so etwas feststellen kann. Hier könnte man bspw. bei Verdachtsfällen, den Prüfzyklus variabel gestalten um auch unangekündigte Prüfungen im Verdachtsfall zu ermöglichen.
"Die Betroffenen sagen uns, dass Beatmungspatienten, die langfristig von ausgebildeten Pflegekräften ganztägig betreut werden müssen, am besten in spezialisierten Heimen versorgt werden. Und sie sagen uns, dass sie sich das häufig nicht leisten können, weil momentan nur die Intensivpflege zu Hause von den Kassen übernommen wird, sie für eine stationäre Unterbringung aber 2-3000 Euro zuzahlen müssen. Genau da setzen wir an." - Auch hier gehen die Wahrnehmungen sicherlich weit auseinander. Vielleicht kann sich jemand von den Betroffenen und Angehörigen hier einfach mal melden und seinen Standpunkt darstellen? Das wäre doch mal etwas für eine Diskussionsgrundlage.
"Wir haben also auf vorhandene Missstände reagiert und lösen Probleme. Das zeigen auch die Reaktionen auf den Gesetzentwurf von vielen Betroffenen und Experten. VDK, Wachkoma-Gesellschaft, Verband der Intensivmediziner stehen hinter uns." - Endlich wird deutlich, warum sich so viel Verbände nicht äußern. Diese sollen nach Aussage des BMG, hinter dem Gesetz stehen und unterstützen dieses somit. Oh stopp, nicht ganz. Hat das Bundesministerium für Gesundheit etwas seine Hausaufgaben nicht gemacht? Der VDK hat nämlich selber eine Pressemitteilung veröffentlicht in der ganz deutlich steht: " bei der Umsetzung muss aber noch viel nachgesteuert werden. Gute und menschenwürdige Versorgung darf nicht davon abhängen, ob Patienten zu Hause, im Krankenhaus, im Heim oder in „Beatmungs-WGs“ gepflegt werden." und weiterhin ist in der Pressemitteilung (Link zur PM hier) des VDK zu lesen (Zitat): „Betroffene müssen ein Recht haben zu entscheiden, wo sie leben und gepflegt werden möchten. Die Menschenwürde, die Freiheit des Einzelnen und die Freizügigkeit sind unsere stärksten Grundrechte. Sie aus Kostengründen einzuschränken, wäre verfassungswidrig“, mahnt VdK-Präsidentin Verena Bentele. „Wir als VdK fordern das Bundesgesundheitsministerium auf, hier nachzubessern und sicherzustellen, dass niemand gegen seinen Willen in ein Pflegeheim gehen muss.“ - Deutlicher geht es wohl kaum und zeigt doch, dass die Proteste offensichtlich doch nicht so ganz unbegründet sind und auch Herr Dusel mit seiner Einschätzung richtig liegt.
"Viele, die jetzt gegen den Gesetzentwurf protestieren, werden davon gar nicht betroffen sein. Der Gesetzesplan greift nur für Pflegebedürftige (I.) in der Intensivpflege, die (II.) 24/7 von (III.) ausgebildeten Pflegefachkräften betreut werden müssen. " - Schon mal darüber nachgedacht, dass sich vielleicht viele die nicht betroffen sind, gerade für die Betroffenen stark machen?
"Nicht gemeint sind Personen, die keiner 24-Stunden-Pflege durch eine Pflegefachkraft bedürfen: + Damit fallen Versicherte, die von Familienangehörigen betreut werden oder eine 24-Stunden-Assistenzkraft haben, nicht unter die Definition. Die Assistenzkraft ist eine Leistung der Eingliederungshilfe, die keine bzw. nicht überwiegend pflegerische Tätigkeiten ausführen. (keine Leistung der GKV) + Auch Versicherte, die trotz 24-Stunden-Intensivbetreuung durch eine Pflegefachkraft am sozialen Leben teilnehmen, werden weiterhin Anspruch auf Pflege zu Hause haben. + Kinder sind explizit ausgenommen " - Und wer definiert, wann jemand am gesellschaftlichem Leben teil nimmt Wo fängt gesellschaftliches Leben an und wo endet es?
"Überprüft wird die Zumutbarkeit im Einzelfall. Bei der Entscheidung über die Zumutbarkeit müssen die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen berücksichtigen. Schließlich verfolgt der Referentenentwurf das Ziel, Patientinnen und Patienten von der Beatmung zu entwöhnen. Dafür gibt es aus Sicht der Leistungserbringer (Kliniken, ambulante Pflegedienste) momentan keinen Anreiz. Das wollen wir ändern. " - Nur wo liegen die genauen Grenzen, wer definiert wann was?
"Schließlich verfolgt der Referentenentwurf das Ziel, Patientinnen und Patienten von der Beatmung zu entwöhnen. Dafür gibt es aus Sicht der Leistungserbringer (Kliniken, ambulante Pflegedienste) momentan keinen Anreiz. Das wollen wir ändern." - Das ist mit Sicherheit löblich, nur die Entwöhnung sollte doch immer noch dort geschehen, wo ein Patient das wünscht und nicht dort, wo der Gesetzgeber das will. Zumal vor einer solchem Maßnahme erst einmal die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Das ist nicht nur, Personal, sondern es müssten auch die entsprechenden Betten geschaffen werden. Wozu aber, wenn diese größtenteils schon in den eigenen vier Wänden vorhanden sind?
Wenn ein Referentenentwurf so viel Interpretationsspielraum zulässt, wie dieser (hier Link zum RISG), ist die gesamte Kritik nicht nur verwunderlich, sondern berechtigt. Gerade Gesetze die Interpretationsspielräume zulassen sind in ihrer Auslegung nach Inkrafttreten, Grundlage für unnötige Klagen vor den zuständigen Gerichten, die betroffene und Angehörige nur unnötig belasten und dem Staat zusätzlich belasten.
UPDATE 22.08.2019: Jens Spahn hat sich heute Morgen im Morgenmagazin der ARD geäußert. Leider "nichts neues", denn es sind immer noch die gleichen Worthülsen, die seitens Jens Spahn's geäußert werden und eigentlich am ende nichts neues an Informationen bringen. Eher im Gegenteil, die Ängste würden mit dem Beitrag nur geschürt. Das Video dazu gibt es unter diesem Link: https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/morgenmagazin/videos/Jens_Spahn-100.html
Aber auch da scheint wieder einiges zwischen den Zeilen zu stehen. Man bemerke: Als die Moderatorin fragte "Das heißt doch im Umkehrschluss, Sascha darf zu Hause bleiben?" hat Jens Spahn die Frage eigentlich genau das getan, wo für er kritisiert wird: "Kinder und Jugendliche und dann wird natürlich geschaut, wie ist die Situation in der Familie ..." Also doch eine "Zwangseinweisung" möglicht? Zumindest wurde das nicht klar dementiert. Er hat nur bestätigt, dass Kinder und Jugendliche erst einmal von dem neuen Gesetz, sollte es so kommen, ausgeschlossen sind und dann durchaus eine Prüfung, von wem auch immer, erfolgt. Somit sind die Ängste der Betroffenen weiterhin begründet.
Jetzt gab es endlich auch in der Tagesschau einen Beitrag. Da dieser nur noch in der Mediathek der ARD verfügbar ist (bis zum 29.8.2019), bitte über diesen Link aufrufen:
https://www.ardmediathek.de/ard/player/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3RhZ2Vzc2NoYXUvOGU4NGU1MDctYjA4Zi00MWQxLWE4OTItMjlhMThkOGEyYThi/