Urteil: Schlag mit einer Vase auf den Kopf des Betreuers ist ein Arbeitsunfall
- Lesezeit: 5 Minuten
Wenn ein ehrenamtlicher Betreuer von einer betreuten Person mit einer Vase auf den Kopf geschlagen wird, kann dies als Arbeitsunfall betrachtet werden. Das gilt auch dann, wenn die Beteiligten verwandt sind und der Vorfall in ihrer gemeinsamen Wohnung stattfindet. Entscheidend ist, dass der Angriff im Zusammenhang mit der Betreuertätigkeit steht. Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt hat dies in einem Fall bestätigt, in dem der Vater, der als Betreuer im Bereich Gesundheitsfürsorge tätig war, nach einem Wutausbruch seines Sohnes den Notarzt alarmierte und unmittelbar danach angegriffen wurde, wie es in einer Pressemitteilung des LSG heißt.
Der Kläger in diesem Verfahren war als ehrenamtlicher Betreuer für seinen erwachsenen Sohn bestellt worden, der aufgrund einer geistigen Behinderung beeinträchtigt war. Zum Aufgabenkreis des Betreuers gehörte u.a. die Gesundheitsfürsorge für den Sohn. Zwischen den beiden Männern kam es im Februar 2016 in der gemeinsamen Wohnung zum Streit, weil das Zimmer des Sohnes von Schimmel befallen war und ein Bausachverständiger den Schaden begutachten sollte. Der Vater versuchte, seinen 38jährigen Sohn dazu zu überreden, die Besichtigung zu dulden und vorher noch einen Teil seiner Lego-Steine zur Seite zu räumen, damit der Sachverständige die Möglichkeit hätte, sich die betroffenen Stellen anzusehen. Als der Vater seinem Sohn Hilfe beim Aufräumen anbot, zog dieser sich zunächst in sein Zimmer zurück. Wenig später schlug er wutentbrannt mit einem Hammer durch die Zimmertür. Als der Vater den Notruf wählte, um einen Notarzt und die Polizei zu rufen, stürzte sich der Sohn auf ihn und schlug ihm schließlich eine Vase auf den Kopf.
Die zuständige Unfallkasse weigerte sich, die dabei erlittene Platzwunde als Folge eines Arbeitsunfalls anzuerkennen. Als ehrenamtlicher Betreuer falle der Vater zwar grundsätzlich unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Vorfall habe sich aber nicht bei einer versicherten Tätigkeit ereignet. Dass Eltern ihre Kinder anhalten, ihr Zimmer aufzuräumen, gehöre zum Familienalltag und nicht zur unfallversicherten Tätigkeit eines Betreuers.
Die dagegen gerichtete Klage des Vaters hatte nun in zweiter Instanz vor dem LSG Sachsen-Anhalt Erfolg. Das Gericht stellte darauf ab, dass zur versicherten Tätigkeit des Klägers als Betreuer seines Sohnes u.a. die Fürsorge für dessen Gesundheit gehört habe. Der Gefahr des Angriffs mit der Vase sei der Vater nicht nur deshalb ausgesetzt gewesen, weil er mit seinem Sohn in einem Haushalt gelebt habe, sondern auch weil er den Notruf gewählt habe, um ärztliche Hilfe für seinen Sohn herbeizurufen. Das sei ein Teil seiner Tätigkeit als Betreuer im Bereich der Gesundheitsfürsorge gewesen. Die Betreuertätigkeit könne jedenfalls nach dem seinerzeit geltenden Betreuungsrecht nicht auf die Vornahme von Rechtsgeschäften reduziert werden.
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. Juni 2024, L 6 U 19/23, nicht rechtskräftig
Hintergrund:
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Unfallversicherungsschutz begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuches Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII). Dazu gehören gem. § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe a SGB VII u.a. ehrenamtliche Tätigkeiten für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Unfälle sind nach der gesetzlichen Definition zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).
Gemäß § 1901 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der bis Ende 2022 galt, umfasste die Betreuung alle Tätigkeiten, die erforderlich waren, um die Angelegenheiten des Betreuten nach Maßgabe näherer gesetzlicher Regelungen rechtlich zu besorgen. Zum 1. Januar 2023 ist das Betreuungsrecht umfassend reformiert worden.