Diakonie, VdK und Grüne kritisieren Wohnraumoffensive der Bundesregierung
- Lesezeit: 8 Minuten
Bund, Länder und Kommunen haben im September 2018 ein Maßnahmenpaket für mehr bezahlbaren Wohnraum beschlossen. Am Dienstag wurde dazu Bilanz gezogen. Die Diakonie teilt dazu mit:
Nach zweieinhalb Jahren wurde Bilanz gezogen, um die wohnungspolitischen Handlungsbedarfe für die kommende Legislaturperiode zu identifizieren. Anlässlich der Bilanzkonferenz zur Wohnraumoffensive der Bundesregierung sagt Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland:
„Der Wohngipfel vor zwei Jahren hat große Hoffnungen geweckt, dass die Politik endlich die zunehmende Wohnungsnot wirksam bekämpft. Die Bilanz ist ernüchternd: Nach wie vor fehlen bezahlbare Wohnungen und die Mieten sind insbesondere in Ballungsgebieten dramatisch gestiegen. Selbst Normalverdienende finden keine bezahlbare Wohnung mehr und werden immer weiter an den Stadtrand verdrängt. Die Corona-Pandemie verschärft die Situation, da viele Menschen durch Kurzarbeit und Jobverlust ihre Miete nicht mehr zahlen können. Dass es bundesweit immer weniger Sozialwohnungen gibt, ist ein großes Problem.
Um mehr bezahlbaren, bedarfsgerechten und inklusiven Wohnraum zu schaffen, braucht es einen Kraftakt auf allen Ebenen. Der Bund muss gerade in der Niedrigzinsphase die Attraktivität der sozialen Wohnraumförderung verstärken und den zweckgebundenen Einsatz der Mittel sichern. Auf Länderebene braucht es zudem flankierende Förderprogramme sowie schnellere und einfachere Verfahren bei der Antragstellung und -bearbeitung auf kommunaler Ebene.
Gut zu wohnen ist ein Grundbedürfnis und gehört zur Existenzsicherung von Menschen. Angemessener Wohnraum ist Voraussetzung für ein Leben in Gesundheit und Wohlbefinden. Bezahlbaren, bedarfsgerechten und inklusiven Wohnraum zu schaffen – und zu sichern – ist eine zentrale sozialpolitische Aufgabe – auch in der nächsten Legislaturperiode – und muss höchste Priorität haben.“
Zum Hintergrund:
Durch eine Grundgesetzänderung kann der Bund den Ländern und Kommunen seit 2020 jährlich Finanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellen. Bis 2024 sind hierfür jährlich 1 Milliarde Euro vorgesehen. Ziel der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode war es, gemeinsam mit Ländern und Kommunen 1,5 Millionen Wohnungen zu schaffen und bezahlbare Mieten zu sichern. Dieses Ziel wurde nicht erreicht: Es wurden weniger neue Wohnungen als geplant gebaut und die Mieten sind weiter gestiegen. Besonders problematisch ist, dass es bundesweit immer weniger Sozialwohnungen gibt. Waren es im Jahr 2002 noch rund 2,6 Mio. Wohnungen mit Preisbindung, gab es im Jahr 2019 nur noch rund 1,14 Millionen Sozialwohnungen.
Die gemeinwohlorientierten Wohnungsanbieter von Kirche und Diakonie sind seit langer Zeit im Wohnungsbau und der Quartiersentwicklung verlässliche Partner für Kommunen und sozialraumorientierte Investoren, wenn es darum geht, Bezahlbarkeit von Mieten und soziale Fürsorge zu garantieren. Unsere Mitglieder beraten Hilfesuchende, geben finanzielle Unterstützung, bieten Lebenshilfen an und sind damit Ansprechpartner für Menschen mit besonderen Zugangsschwierigkeiten zum Wohnungsmarkt. Unsere Beratungsleistungen entlasten damit kommunale Behörden und Einrichtungen – gleichzeitig sind wir im Quartier erste Ansprechpartner, wenn es um die Aufnahme und Versorgung Hilfesuchender geht.
Verena Bentele, die Präsidentin des VdK kritisiert ebenfalls die Wohnungsoffensive der Regierung:
Ziel verfehlt“: Der Sozialverband VdK Deutschland hat anlässlich des heutigen Bilanzgipfels der Bundesregierung zur Wohnraumoffensive seine Kritik an der Wohnungspolitik erneuert und mehr Maßnahmen für bezahlbaren Wohnraum angemahnt.
VdK-Präsidentin Verena Bentele erklärte dazu heute in Berlin: „Rund zwei Jahre nach dem Wohngipfel kann von einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt keine Rede sein. Das Ziel, 1,5 Millionen Sozialwohnungen zu bauen, wurde verfehlt. Damit Wohnen wieder bezahlbar wird, reicht außerdem Bauen nicht aus. Wir brauchen eine dauerhafte Sozialbindung bei Mietwohnungen. Zudem muss der Mieterschutz verbessert werden. Wohnen ist ein Menschenrecht. Die Mieterinnen und Mieter müssen besser vor überteuerten Mieten geschützt werden. Wir brauchen eine effektive Mietpreisbremse und eine Deckelung bei den Mietsteigerungen in laufenden Mietverhältnissen, etwa nach Modernisierungen, damit die Menschen nicht aus ihren Wohnungen verdrängt werden.“
Bentele betonte: „Wohnen ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Das Thema erhitzt die Gemüter, das sieht man sehr gut an der aktuellen Debatte um den Neubau von Einfamilienhäusern. Dabei können sehr viele Menschen von einem Eigenheim wirklich nur träumen. Schon das Finden einer bezahlbaren Mietwohnung ist in den Städten eine fast unlösbare Aufgabe. Wir wissen, dass armutsgefährdete Haushalte bis zu 50 Prozent ihres Einkommens für Miete und Nebenkosten ausgeben müssen. Und wenn zu jeder Wohnungsbesichtigung mehrere hundert Leute erscheinen, haben Menschen mit kleinem Einkommen, Alleinerziehende oder Familien mit mehreren Kindern praktisch keine Chance. Auch für Ältere und für Menschen mit Behinderung ist der deutsche Wohnungsmarkt voller Hürden, und zwar buchstäblich: Barrierefreier Wohnraum, den man sich mit einem normalen Einkommen oder von einer Rente leisten kann, ist nach wie vor Mangelware. Hier müssen Bund, Länder und Kommunen zeitnah und konkret handeln.“
Zur Bilanz der „Wohnraumoffensive“ von Bauminister Horst Seehofer erklären Chris Kühn (Grünen), Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik und Daniela Wagner(Grünen), Sprecherin für Stadtentwicklung:
Zwei Wohngipfel und ein Stapel Hochglanzbroschüren sorgen nicht für bezahlbare Wohnungen. Was am Ende dieser Regierungszeit bleibt, ist ein Bauminister, der den Rahmen beim Bauen falsch setzt, die soziale Frage unserer Zeit nicht beantwortet und ein großes ökologisches Potential liegen lässt. Es wird zu wenig in bezahlbares Wohnen investiert und der Klimaschutz im Gebäudebereich kommt nicht voran. Statt Hochglanzgipfeln braucht es einen neuen Aufbruch und viel mehr Investitionen für gutes, bezahlbares und ökologisches Wohnen.
Die soziale Gerechtigkeit gerät beim Wohnen immer mehr in Schieflage. Die Corona-Krise verschärft das Problem zusätzlich. Seehofer und die Bundesregierung haben bezahlbare Wohnungen der Teuerung preisgegeben statt diese wie versprochen zu sichern. Beim Neubau verfehlt Seehofer das von ihm selbst ausgegeben Ziel zudem deutlich. Er kann gerade einmal zwei Drittel seiner für diese Legislaturperiode versprochenen 1,5 Millionen gebauten Wohneinheiten vorweisen. Statt einer Investitionsoffensive für bezahlbaren Wohnraum kam der soziale Wohnungsbau bei Schwarz-Rot massiv unter die Räder und wurde auf eine Milliarde Euro im Jahr halbiert. Im Ergebnis verschwinden pro Tag 100 Sozialwohnungen in Deutschland. Die Bundesregierung un d Bauminister Horst Seehofer haben ihre Kernziele krachend verfehlt, die sie sich mit ihrer „Wohnraumoffensive“ vor zwei Jahren selbst gesetzt hatten.
Auch bei der Bezahlbarkeit des Wohnens fällt die Bilanz von Horst Seehofer und Angela Merkel sehr düster aus. Immobilien und Bauland sind so teuer wie nie. Die Wohnkostenbelastung ist enorm und gerade in wachsenden Städten und Regionen ist bezahlbares Wohnen ein Riesenproblem für breite Bevölkerungsschichten geworden. Den Kommunen fehlen die richtigen Instrumente, um vor Ort Abhilfe zu schaffen. Seehofer war nicht in der Lage, die Preisspirale beim Bauland zu durchbrechen. Die Experten-Empfehlungen seiner Baulandkommission finden sich in seinem Baulandmobilisierungsgesetz nur halbherzig wieder. Auch hat der Dauerstreit der Großen Koalition bei der Frage des Umwandlungsschutzes von Mietwohnungen die Baupolitik viel zu la nge gelähmt. Beim Klima- und Ressourcenschutz war der Bauminister Bremser für seinen Gebäudesektor. Er hat ein ambitioniertes Gebäudeenergiegesetz blockiert. Der Wärmeverbrauch stagniert und ist zu drei Vierteln fossil.
Wir Grüne wollen mit der Neuen Wohngemeinnützigkeit eine Millionen neue Wohnungen fördern. Um bezahlbare Mieten zu sichern, werden wir Mieterhöhungen dämpfen und uns für eine echte Mietpreisbremse einsetzen. Wir heben die Potentiale für den Klimaschutz bei den Gebäuden und sorgen für eine faire Kostenverteilung bei der energetischen Gebäudesanierung.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung