Der Bundestag hat dem neuen Vormundschafts- und Betreuungsrechts zugestimmt
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Der Bundestag hat heute am Freitag, 5 März 2021, den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zugestimmt. Drucksache: (19/24445).
Modernisierung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts
Das Ziel des Reformvorhabens der Bundesregierung ist es demnach, das Vormundschafts- und Betreuungsrecht umfassend zu modernisieren und neu zu strukturieren.
Dabei sieht das Gesetzpaket einschließlich aller Folgeanpassungen eine Änderung von 46 Gesetzen vor. Unter anderem ist vorgesehen, Im Vormundschaftsrecht die zu betreuende Person mit seinen Rechten im Mittelpunkt zu stellen. Die Erziehungsverantwortung des Vormunds wird deutlicher hervorgehoben. Zudem sollen die Rechte der Pflegepersonen gestärkt und die Vergütung der Vormundschaftsvereine eingeführt werden. Bisher enthält das Vormundschaftsrecht vor allem detaillierte Regelungen zur Vermögenssorge.
Zudem sieht der Gesetzentwurf vor das Ehrenamtliche Betreuer durch die geplante Reform in Zukunft mehr Informationen und Kenntnisse erhalten - auch durch enge Anbindung an einen anerkannten Betreuungsverein. Dabei sollen sie, wenn es keine familiären Beziehungen oder persönlichen Bindungen zum Betreuten besteht, mit solch einem Verein eine Vereinbarung über eine Begleitung und Unterstützung abschließen.
Im Betreuungsrecht sind die Änderungen der Regierung demnach zentral darauf ausgerichtet, die Selbstbestimmung und die Autonomie unterstützungsbedürftiger Menschen im Vorfeld und innerhalb einer rechtlichen Betreuung im Sinne von Artikel 12 UN-Behindertenrechtskonvention zu stärken. Dabei sind die Wünsche des Betreuten der zentrale Maßstab. Die Gesetzesänderungen sollen sicherstellen, dass die betroffene Person in sämtlichen Stadien des Betreuungsverfahrens besser informiert und stärker eingebunden wird. Es soll zudem klarer geregelt werden, dass die rechtliche Betreuung in erster Linie eine Unterstützung des Betreuten bei der Besorgung seiner Angelegenheiten durch eigenes selbstbestimmtes Handeln gewährleistet und der Betreuer das Mittel der Stellvertretung nur einsetzen darf, soweit es erforderlich ist.
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Jan-Marco Luczak, und der Berichterstatter für das Familienrecht, Paul Lehrieder erklären zum heutigen verabschiedeten Vormundschafts- und Betreuungsrechts:
Jan-Marco Luczak: "Mehr Selbstbestimmung für die Betroffenen - das ist der Kern der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts. Die rechtliche Betreuung hat künftig primär zum Ziel, die Betroffenen zu ertüchtigen, ihre eigenen Angelegenheiten selbst wahrnehmen zu können. Den Leitgedanken der Stärkung der Betroffenen konnten wir in den Beratungen noch einmal untermauern, etwa mit der Möglichkeit der Bestellung eines Betreuungsvereins auf Wunsch des Betreuten oder verbesserten prozessualen Handlungsmöglichkeiten des Betreuten. Auch im Vormundschaftsrecht rücken wir den Mündel mit seinen subjektiven Rechten stärker in das Zentrum des Verfahrens.
Zugleich passen wir die Wirklichkeit im Familienrecht in einem wichtigen Punkt an die Erwartungen der Menschen an. Ehepartner gehen bereits heute vielfach davon aus, in gesundheitlichen Notsituationen füreinander Entscheidungen treffen zu können. Tatsächlich ist das aktuell nicht möglich. Für viele Ehepaare birgt es eine böse Überraschung, in einer solchen Lage einen gerichtlichen Betreuer zu benötigen. Viele empfinden das als entmündigend. Deswegen schaffen wir nun die rechtliche Basis dafür, dass Ehepartner auch in schlechten Zeiten füreinander einstehen können. Mit dem neuen Notvertretungsrecht wird Ehegatten per Gesetz das Recht zur gegenseitigen Vertretung in gesundheitlichen Notsituationen für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten übertragen."
Paul Lehrieder: "Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, ist ein sehr großes, ehrgeiziges und gleichsam eines der wichtigsten Reformprojekte der gesamten Legislaturperiode. Wir verbessern damit die Situation für viele Menschen, die kurz-, mittel oder sogar langfristig auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind.
Das Vormundschaftsrecht ist zwar im Laufe der Jahre immer wieder novelliert worden, stammt aber in weiten Teilen noch aus der Entstehungszeit des Bürgerlichen Gesetzbuches. In diesem Kontext waren die gesellschaftlichen Verhältnisse um das Jahr 1900 maßgeblich. Künftig werden das sogenannte Mündel und die Regelungen zur Personensorge im Zentrum stehen. Wir wollen damit einen stabilen Grundstein für die Entwicklung betroffener Kinder legen.
Auch das seit Anfang der 1990er Jahre geltende Betreuungsrecht wird verbessert - auch unter Bezugnahme aktueller Forschungsvorhaben. Zentrale Ziele der Reform sind die Stärkung der Selbstbestimmung der betroffenen Menschen im Vorfeld und innerhalb einer rechtlichen Betreuung im Sinne von Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention sowie die Verbesserung der Qualität der rechtlichen Betreuung in der Anwendungspraxis. Neben dem Ehegattennotvertretungsrecht haben wir uns im parlamentarischen Verfahren für die Stärkung der Qualität ehrenamtlicher Angehörigenbetreuer eingesetzt. Angehörige machen etwa die Hälfte aller Betreuungen aus und erhalten zukünftig die Möglichkeit, auf die Beratungs- und Unterstützungsangebote von Betreuungsvereinen zurückzugreifen."
Mechthild Rawert (SPD), zuständige Berichterstatterin begrüßt die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts und teilt mit: In den Verhandlungen hat sich die SPD-Fraktion erfolgreich für mehr Selbstbestimmung in der rechtlichen Betreuung eingesetzt: Auf Druck der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wird die Zwangssterilisation gestrichen, die Prozessfähigkeit von betreuten Menschen anerkannt und unabhängige Beratungs- und Beschwerdestellen eingerichtet.
„Kaum ein Gesetzesvorhaben wurde von Verbänden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Sachverständigenanhörung des Deutschen Bundestages je so gelobt wie die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts: Mit dieser progressiven Reform ebnen wir den Weg vom stellvertretenden Handeln der Betreuerinnen und Betreuer hin zur unterstützten Entscheidungsfindung der betreuten Personen.
Richtschnur der Betreuung ist nicht länger ein vermeintliches Wohl der betreuten Menschen, sondern deren eigene Wünsche. Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht der betreuten Personen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention und der Istanbul-Konvention, indem sie besser informiert werden, in die Auswahl eines konkreten Betreuers eingebunden werden und mehr mitbestimmen sollen, ob und wie sie betreut werden.
Der SPD-Bundestagsfraktion ist es gelungen, den guten Entwurf aus dem Justizministerium im Sinne der Betroffenen noch zu verbessern: Auf Druck der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist die Zwangssterilisation gestrichen worden, sodass endlich die langjährige Kritik der Behindertenverbände im Gesetz umgesetzt wird. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass betreute Menschen in Zukunft die Möglichkeit haben, ihre Interessen vor Gericht selbst zu äußern, indem ihre Prozessfähigkeit anerkannt wird. Wir sind stolz, außerdem den Weg für unabhängige Beratungs- und Beschwerdestellen geebnet zu haben. Viele betreute Personen sind unzufrieden mit ihren Betreuerinnen und Betreuern und wenden sich dann – mangels Alternativen – mit Beschwerden an die Gerichte, die diese dann aufgrund von prozessualen Fehlern vielfach verwerfen. Es bedarf darum unabhängiger Beratungs- und Beschwerdestellen, an die sich Betroffene und Ehrenamtliche wenden können, wenn es Probleme in der Betreuung gibt. Diese sollen nun bis 2023 eingerichtet werden.“
Autor: dm / © EU-Schwerbehinderung