Außerklinische Intensivpflege - Das will Spahn ändern
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Bereits gestern berichteten wir, dass Jens Spahn das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz nach langen Protesten, ändern möchte. Heute liegt EU-Schwerbehinderung ein Papier des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vor, aus dem mehr Details ersichtlich werden.
Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister äußerte sich in seinem Statement wie folgt: „Heute geht der überarbeitete Referentenentwurf zum Intensivpflegegesetz erneut in die Ressortabstimmung. Damit nehmen wir Anregungen aus den Gesprächen mit Betroffenen auf und räumen Missverständnisse aus:
Wir wollen, dass Intensiv-Pflegebedürftige soweit wie möglich am sozialen Leben teilhaben und ein selbstbestimmtes Leben führen. Aber wir wollen auch, dass Intensiv-Pflegebedürftige bestmöglich versorgt werden.
Das ist heute häufig nicht der Fall. Deswegen sorgen wir dafür, dass Patienten künftig - wenn möglich - von der künstlichen Beatmung entwöhnt werden. Wir machen die Versorgung von Intensiv-Patienten in speziellen stationären Einrichtungen für Betroffene und deren Angehörige bezahlbar.
Und wir bekämpfen Abrechnungsbetrug und kriminelle Fehlleistungen in der ambulanten Intensiv-Pflege. Die besonders aufwändige Intensivpflege in der eigenen Häuslichkeit bleibt weiterhin möglich. Darüber wird im Einzelfall entschieden.
Wichtig ist: Intensivpflege-Patienten, die am sozialen Leben teilhaben, können auch künftig zu Hause betreut werden. Und: Für alle Patient, die bereits heute intensivpflegerisch versorgt werden, gilt Bestandsschutz. Sie können – wenn sie wollen - in ihrem vertrauten Umfeld bleiben. Das war mir wichtig. Denn Intensivpflege basiert auf einem guten Zusammenspiel von Pflegekraft, Umfeld und Patient. Wenn so ein Team gut funktioniert, sollte man es nicht auseinander reißen.
Zusammengefasst: Mit dem Entwurf präzisieren wir unsere Gesetzesziele: Wir machen Intensivpflege besser: mit hohen Qualitätsstandards, klaren Regeln und einer Bestandsschutz-Garantie.“
Der vollständige Referentenentwurf ist bisher noch nicht veröffentlicht worden. Das Ministerium teilte uns aber mit, dass dieses nach der Ressortanhörung geschehen soll.
Die wesentlichen Änderungen der außerklinischen Intensivpflege im Einzelnen :
- Der Vorrang der stationären Versorgung wird gestrichen. Wünsche der Versicherten zum Leistungsort sind zu berücksichtigen, soweit sie angemessen sind und die medizinisch-pflegerische Versorgung sichergestellt ist.
- Es gilt ein unbefristeter Bestandsschutz für alle, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits Leistungen der außerklinischen Intensivpflege erhalten.
- Bei Versorgung in einer stationären Pflegeeinrichtung übernehmen die Krankenkassen verpflichtend nicht nur die Aufwendungen für die medizinische Behandlungspflege sondern auch Investitionskostenanteile und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung.
- Die Krankenkassen können in ihrer Satzung regeln, dass bei Unterbringung in einer stationären Pflegeeinrichtung darüber hinaus die Eigenanteile für Pflege, Betreuung, Investitionskosten, Unterkunft und Verpflegung auch nach einer Besserung des Gesundheitszustandes weiter übernommen werden, wenn der Anspruch auf außerklinische Intensivpflege nicht mehr besteht.
- Es wird gesetzlich klargestellt, unter welchen Voraussetzungen Versicherte Anspruch auf außerklinische Intensivpflege haben, d.h. in welchen Fällen ein „besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege“ vorliegt (bisher nur in der Gesetzesbegründung): Erforderlich ist ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege, der eine ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft […] erforderlich macht. Einzelheiten regelt der G-BA.
- Die beispielhafte Aufzählung von verordnungsberechtigen Facharztgruppen in der Begründung („besonders qualifizierter Vertragsarzt“) wird erweitert, bspw. um Neurologen oder Intensivmediziner
- Mit der Verordnung außerklinischer Intensivpflege ist künftig das Therapieziel für den Versicherten oder die Versicherte individuell festzustellen und mit ihm bzw. ihr zu erörtern – bei Bedarf unter Einbeziehung palliativmedizinischer Fachkompetenz.
- Bei beatmeten oder tracheotomierten Patientinnen und Patienten ist mit der Verordnung das Entwöhnungspotenzials festzustellen.
- Die G-BA-Richtlinie zu Inhalt und Umfang der Leistungen ist für Kinder/Jugendliche und Erwachsene getrennt auszugestalten; Frist wird von 6 auf 12 Monate verlängert.
- Es wird eine Evaluierungsklausel eingeführt: Der GKV-Spitzenverband hat dem Deutschen Bundestag (über das BMG) bis Ende 2026 über die Umsetzung des neu gefassten Leistungsanspruchs auf außerklinische Intensivpflege zu berichten
- Die Frist zur Abgabe der Rahmenempfehlungen (GKV-Spitzenverband mit Leistungserbringern auf Bundesebene) wurde auf 12 Monate nach Erlass der G-BA-Richtlinie verlängert; sie sind unter Einbeziehung des Medizinischen Dienstes Bund abzugeben.
- Die Rahmenempfehlungen sollen nunmehr auch Regelungen zu strukturellen Anforderungen an Wohneinheiten einschließlich baulicher Qualitätsanforderungen sowie zu Grundsätzen der Vergütung und Maßnahmen bei Vertragsverstößen umfassen.
- Die Schiedsstellenregelung wurde angepasst. Die Verträge sind von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich abzuschließen, nicht mehr kassenindividuell.
- Die Anforderungen an das Weaning-Assessment sowie die Festlegung der Abschlagshöhe für Krankenhäuser, die entgegen der neuen gesetzlichen Vorgabe keine Feststellung des Beatmungsstatus von Beatmungspatienten durchführen oder eine erforderliche Verlegung zur längerfristigen Beatmungsentwöhnung in eine hierauf spezialisierte Einrichtung nicht vornehmen, werden auf Bundesebene gelegt.
Die wesentlichen Änderungen zur medizinischen Rehabilitation im Einzelnen :
- Die von Vertragsärzten für die Verordnung einer geriatrischen Rehabilitation verwandten Abschätzungsinstrumente sollen der Verordnung bei der Übermittlung an die Krankenkasse beigefügt werden.
- Bei allen anderen Indikationen stellt die Krankenkasse bei Ablehnungsentscheidungen die entsprechende Stellungnahme des Medizinischen Dienstes den Versicherten zur Verfügung.
- Die Krankenkasse teilt den Versicherten und den verordnenden Ärzten ihre Entscheidung in schriftlicher oder elektronischer Form mit und begründet Abweichungen von der Verordnung. Der G-BA regelt in Richtlinien Näheres zu Auswahl und Einsatz geeigneter Abschätzungsinstrumente für eine geriatrische Rehabilitation.
- Regelungen zu Versorgungs- und Vergütungsverträgen: Schiedsstelle nicht nur für Vergütungs-, sondern auch für Versorgungsverträge; keine Unwirtschaftlichkeit von Vergütungen für Mitarbeiter der Einrichtungen bei Bezahlung bis zur Höhe tarifvertraglicher Vergütungen; Berücksichtigung von Regelungen im SGB IX und der G-BA-Richtlinien; Vereinbarungen zur Qualitätssicherung bleiben unberührt; Rahmenempfehlungen sind den Versorgungs- und Vergütungsverträgen zugrunde zu legen.
- Änderungen im SGB XI: insb. Klarstellung, dass eine Rehabilitationsempfehlung nach § 18
im Rahmen der Pflegeberatung besonders zu beachten ist.
Bis es aber vom Referentenentwurf zu einem endgültigen Gesetz kommt, ist noch ein langer Weg. Ob mit den Änderungen alle Bedenken und Kritiken ausgeräumt sind, muss sich auch noch beweisen, denn die Kritiken der Vergangenheit, die nicht nur vom Behindertenbeauftragten Jürgen Dusel (wir berichteten) sehr massiv war, sondern seitens des ALS e.V. (wir berichteten) von wochenlangen Protestaktionen vor dem Ministerium führte, ging bis hin zu der Frage, ob der ursprüngliche Entwurf nicht sogar Menschenrechte und Grundrechte verletzen würden.
Die jetzt geplanten Änderungen, lassen zumindest den Eindruck zu, dass die Kritik nicht ungehört geblieben ist.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung