DAK-Studie: Nach der Pandemie nutzt jedes vierte Kind soziale Medien riskant
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Die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland hat sich in und nach der Pandemie deutlich verändert. Aktuell nutzen knapp 25 Prozent der Minderjährigen soziale Medien riskant. Das sind hochgerechnet 1,3 Millionen Mädchen und Jungen – dreimal so viele wie im Jahr 2019. Sechs Prozent der 10- bis 17-Jährigen erfüllen derzeit die Suchtkriterien einer pathologischen Nutzung. Hochgerechnet sind dies 360.000 Kinder und Jugendliche – fast doppelt so viele wie vor vier Jahren. Das zeigen aktuelle Ergebnisse einer gemeinsamen Längsschnittuntersuchung der DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Diese weltweit einzigartige Studie fragt in bundesweit 1.200 Familien in sechs Wellen die digitale Mediennutzung von Kindern und deren Eltern ab. Während die Probleme bei den sozialen Medien weiter angestiegen sind, gibt es beim Gaming und Streaming auch positive Entwicklungen. Im Vergleich zum Vorjahr gingen die Nutzungszeiten und die Zahl der Minderjährigen mit Suchtkriterien wieder zurück. DAK-Chef Andreas Storm und Experten fordern mehr Aufklärung über Mediensucht und zusätzliche Präventions- und Hilfeangebote für betroffene Familien.
Laut DAK-Studie stieg die Zahl der 10- bis 17-Jährigen mit einer riskanten Social-Media-Nutzung seit 2019 von 8,2 auf 24,5 Prozent. Hochgerechnet waren so im September 2023 rund 1,3 Millionen Minderjährige betroffen. Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit einer pathologischen Nutzung hat sich von 3,2 auf 6,1 Prozent fast verdoppelt. Somit erfüllen rund 320.000 Mädchen und Jungen Suchtkriterien. „Soziale Medien sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wir brauchen aber mehr Aufklärung über Reiz und Risiken von Instagram oder TikTok sowie zusätzliche Präventionskampagnen und Hilfsangebote für Betroffene“, sagt DAK-Vorstandschef Andreas Storm. „Dazu ist es erforderlich, dass die Medienkompetenz für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern gefördert wird. Dabei müssen unsere Schulen eingebunden werden. Ich bin überzeugt, dass der negative Trend gemeinsam gestoppt werden kann, wenn im Kampf gegen die Mediensucht Gesundheits-, Familien- und Bildungspolitik an einem Strang ziehen.“
Laut Mediensucht-Studie von DAK-Gesundheit und UKE Hamburg verbringen Kinder und Jugendliche an einem normalen Wochentag durchschnittlich 150 Minuten in sozialen Netzwerken (2019: 123 Minuten), am Wochenende sind es mit 224 Minuten über dreieinhalb Stunden (2019: 191 Minuten). Die Untersuchung zeigt erstmals auch Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Minderjährigen. Mädchen und Jungen mit einer problematischen Social-Media-Nutzung berichten häufiger von depressiven Symptomen, mehr Ängsten und einem höheren Stresslevel als unauffällige Nutzerinnen und Nutzer. Ferner zeigen sich Defizite beim Umgang mit Emotionen und beim Thema Achtsamkeit. Die Eltern der betroffenen Kinder und Jugendlichen sind unzufriedener mit der Kommunikation in den Familien und berichten von einer geringeren Funktionalität als die Vergleichsgruppe.
„Psychisch belastete Jugendliche neigen oftmals vermehrt zu problematischem Nutzungsverhalten bei sozialen Medien“, sagt Prof. Rainer Thomasius, Studienleiter und Ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am UKE Hamburg. „Gleichzeitig führt die übermäßige Nutzung jedoch zu neuen Problemen und erhöhten psychischen Belastungen – es entsteht ein Teufelskreis. Eine exzessive Mediennutzung führt oft zu Kontrollverlust mit weitreichenden Folgen. Da persönliche, familiäre und schulische Ziele in den Hintergrund treten, werden alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht angemessen gelöst. Ein Stillstand in der psychosozialen Reifung ist die Folge.“ Nach Einschätzung des Suchtexperten kommt den Eltern bei der Steuerung der Mediennutzung ihrer Kinder eine besondere Bedeutung zu. Laut Studie gab jedes vierte bis fünftes Elternteil an, sich Sorgen um die Mediennutzung des Kindes zu machen. Fast jedes dritte Elternteil sieht sich beim Thema nicht als Vorbild. Dabei habe die Medienkompetenz der Eltern und ein gesunder Mediengebrauch starken Einfluss auf das Nutzungsverhalten ihrer Kinder. „Eltern mit einer hohen digitalen erzieherischen Selbstwirksamkeit stellen deutlich häufiger Regeln für medienfreie Zeiten auf“, sagt Prof. Thomasius. „Ferner setzen sie aufgestellte Medieninhalte deutlich konsequenter um.“
„Die Ergebnisse zeigen leider deutlich, dass die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland während und nach der Corona-Pandemie erheblich zugenommen hat“, erklärt Dr. Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ). „Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit, gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um diesem besorgniserregenden Trend entgegenzuwirken. Ich verstehe es als unsere gesellschaftliche Verantwortung, Medienkompetenz zu fördern, präventive Programme zu implementieren und einen bewussten Umgang mit digitalen Medien zu fördern. Ein Mediensuchtscreening in der Kinder- und Jugendarztpraxis kann dabei unterstützen, eine riskante Nutzung von Computerspielen und Social Media frühzeitig zu erkennen.“ Im Rahmen eines Pilotprojekts übernimmt die DAK-Gesundheit die Untersuchungen zur Früherkennung von Mediensucht aktuell in fünf Bundesländern.
Anders als bei der Social-Media-Nutzung zeigen sich beim Gaming sowie beim Streaming positive Entwicklungen: Den Studienergebnissen zufolge verbringen junge Menschen nach der Pandemie wieder etwas weniger Zeit mit digitalen Spielen und Streamingdiensten. Beim Gaming sind die Nutzungszeiten an Werktagen auf durchschnittlich 98 Minuten gesunken (Wochenende: 168 Minuten). Sie liegen damit fast wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie. Auch beim Streaming gehen die Werte nach einem starken Ausschlag zur Hochphase der Pandemie wieder nach unten: Die durchschnittliche Streaming-Dauer sank im September 2023 auf 98 Minuten pro Werktag. Zum Vergleich: Im Mai 2021 waren es 170 Minuten. Erstmals seit Beginn der Pandemie zeigt sich darüber hinaus ein signifikanter Rückgang der pathologischen Nutzung digitaler Spiele. Mit 4,3 Prozent ist die Prävalenz wieder auf dem Niveau von Mai/Juni 2021. Beim Streaming hat sich der Anteil pathologischer Nutzerinnen und Nutzer im Vergleich zum Vorjahr auf 1,2 Prozent halbiert.