Vorschläge für ein gerechteres Entgeltsystem in Behindertenwerkstätten
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Das Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten steht seit längerer Zeit aus verschiedenen Gründen in der Kritik. Im Jahr 2019 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert innerhalb von vier Jahren zu prüfen, wie ein transparentes, nachhaltiges und zukunftsfähiges Entgeltsystem entwickelt werden kann.
Dabei muss die Reform des Entgeltsystems zu einem auskömmlichen Einkommen für alle Werkstattbeschäftigten – auch für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf – führen, schreibt die BAG WfbM in ihrem Papier.
Auch müsse die Werkstattleistung als Teil eines inklusiven Arbeitsmarktes im Sinne der UN-BRK 35 weiterentwickelt und die Arbeit der Werkstattbeschäftigten als Teil der Arbeitswelt anerkannt werden.
„Beide Vorschläge stehen zum jetzigen Zeitpunkt gleichwertig nebeneinander. So unterschiedlich sie inhaltlich an entscheidenden Stellen sind, enthalten beide Vorschläge Grundlagen, auf die sich die Mitglieder der BAG WfbM in der verbandlichen Diskussion verständigt haben,“ schreibt die BAG WfbM. In Europa müsse der einzigartige Rechtsanspruch auf Teilhabe am Arbeitslebe aufrechterhalten werden. Hierbei sei wichtig zu betonen, dass auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf künftig zum berechtigten Personenkreis gehören müssen und das Mindestmaß der wirtschaftlich verwertbaren Arbeitsleistung erfüllen. Auch müssen sie von ihrem Wunsch und Wahlrecht Gebrauch machen können und einen Anspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben erhalten, heißt im Bericht.
Zudem sollten Werkstätte auch zukünftig einen Beitrag zum Einkommen ihrer Beschäftigten leisten. Die Arbeit der Werkstattbeschäftigten muss durch die Werkstatt transparent und gerecht entlohnt werden. So würde mit Reform des Entgeltsystems es nicht zu einer Veränderung der Unterstützungsbedarfe der Menschen mit Behinderungen kommen. Bereits bestehende Nachteilsausgleiche müssten auch in Zukunft berücksichtigt werden. Ebenso gelte diese auch für Schutzrechte, die sich aus dem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis ergeben, so die BAG WfbM.
Vorschlag 1 „Grundeinkommen für Werkstattbeschäftigte“
Dabei ist ein Vorschlag der BAG WfbM „Grundeinkommen für Werkstattbeschäftigte.“ Mit einem Grundeinkommen für Werkstattbeschäftigte soll eine Erhöhung des Einkommens aller Werkstattbeschäftigten einhergehen, schreibt die BAG WfbM. So soll das Grundeinkommen „auskömmlich“ sein und deutlich „über den existenzsichernden Leistungen“ liegen. Erhalten soll das Grundeinkommen, wer im Arbeitsbereich einer Werkstatt oder bei einem anderem Leistungsanbieter beschäftigt ist, also der bisherige Personen kreis gemäß §§ 58 und 60 SGB IX. Zusätzlich müssen zukünftig auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf Zugang zur Werkstattleistung/Leistungen bei anderen Leistungsanbietern und somit zum Grundeinkommen erhalten, so die BAG WfbM. Das Grundeinkommen soll insgesamt an die Beschäftigten in den Werkstätten ausgezahlt werden.
Entgelt aus der Werkstattbeschäftigung
Zusätzlich zum Grundeinkommen soll den Werkstattbeschäftigten ein Entgelt aus der Werkstattbeschäftigung, d. h. aus dem Arbeitsergebnis der Werkstatt ausgezahlt werden. Weiter schreibt die BAG WfbM „Das Arbeitsförderungsgeld geht zukünftig im staatlich finanzierten Grundeinkommen auf. Die Höhe des einheitlichen Betrages und wo bzw. wie dieser gesetzlich geregelt werden soll, muss im Rahmen des politischen Reformprozesses festgelegt werden. Eine Koppelung an das Ausbildungsgeld muss zukünftig entfallen. Das Entgelt aus der Werkstattbeschäftigung bleibt weiterhin Entgelt bzw. Einkommen im Sinne des Einkommensteuergesetzes.“
Rechtlicher Status und Nachteilsausgleiche
Zudem sollen Erwerbsminderungsrentnerinnen und Erwerbsminderungsrentner ein Wahlrecht erhalten zwischen dem Grundeinkommen und der Erwerbsminderungsrente. Diese Regelung gilt ebenso für Personen, die Verletztenrente der Unfallversicherung, Beamtenversorgung oder Leistungen der Kriegsopferfürsorge erhalten.
„Der Nachteilsausgleich in der Rente bleibt erhalten. Die Rentenbeiträge werden weiterhin auf Grundlage von 80 % des Durchschnittseinkommens aller rentenversicherungspflichtigen Personen in Deutschland berechnet. Auch das Recht nach 20 Jahren der Beschäftigung in einer Werkstatt oder bei einem anderen Leistungsanbieter eine Erwerbsminderungsrente zu erhalten, bleibt bestehen. Dieses Recht sollte in ein Wahlrecht zwischen Grundeinkommen und Erwerbsminderungsrente umgewandelt werden,“ heißt es im Papier.
Vorschlag 2 „Arbeitnehmerstatus mit Teilhabeanspruch“
Beim zweiten Vorschlag der BAG WfbM soll anspruchsberechtigt sein, wer im Arbeitsbereich einer Werkstatt oder bei einem anderem Leistungsanbieter beschäftigt ist – also der Personenkreis gemäß §§ 58 und 60 SGB IX. Auch müssten in Zukunft auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf anspruchsberechtigt sein. Dabei soll der Status der dauerhaften vollen Erwerbsminderung erhalten bleiben, so die BAG WfbM.
So erhalten diese Personen den Arbeitnehmerstatus und den gesetzlichen Anspruch auf Mindestlohn. Hierbei beinhalte der Teilhabeanspruch neben einem Lohnkostenzuschuss den Anspruch auf individuelle Unterstützung und Begleitung am Arbeitsplatz. „Der Teilhabeanspruch kann bei unterschiedlichen Arbeitgebern – in einer Werkstatt, bei einem anderen Leistungsanbieter, in einem Inklusionsbetrieb oder in einem Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes –wahrgenommen werden,“ heißt es im Papier.
Rechtlicher Status und Nachteilsausgleiche
Es sollen Anspruchsberechtigt sein dauerhaft voll erwerbsgeminderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Arbeitsvertrag. Der Rechtsanspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben sowie die Aufnahmeverpflichtung durch die Werkstatt bleiben bestehen.
Kündigungsschutz
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Teilhabeanspruch haben weiterhin einen Kündigungsschutz in der Werkstatt sowie ein Rückkehrrecht in die Werkstatt, sollte ein Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber ihrerseits oder seitens des Arbeitgebers beendet werden, heißt es im Papier.
Arbeitszeit
Aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich die vereinbarten Wochenstundenzahl. Einweisung, Begleitung und Unterstützung am Arbeitsplatz sowie arbeitsbegleitende Maßnahmen gehören zu dieser Arbeitszeit.
Lohnkostenzuschuss
Der Arbeitgeber leistet auch künftig einen Beitrag zum Gesamteinkommen. „Der Lohnkostenzuschuss muss hinsichtlich seiner Höhe sicherstellen, dass jede Person in ihrem Gesamteinkommen, unabhängig von der eigenen Leistungsfähigkeit, mindestens Mindestlohn erhält. Die konkrete Höhe muss im Rahmen des politischen Reformprozesses festgelegt werden. Das Arbeitsförderungsgeld geht zukünftig im staatlich finanzierten Lohnkostenzuschuss auf,“ schreibt die BAG WfbM.
Die Vorschläge der BAG WfbM im Detail finden sie hier.
Autor: dm / © EU-Schwerbehinderung