Werkstätten für Menschen mit Behinderung in der bisherigen Form sind heute nicht mehr zeitgemäß!
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Die Werkstätte für Menschen mit Behinderungen (WfbM) steht schon lange in der Debatte, insbesondere wird dabei an vielen Stellen die Sinnhaftigkeit und der Zweck debattiert, was bis hin zu den Forderungen geht, die WfbM gesamt abzuschaffen, zumindest in der jetzigen Form.
Für viele Menschen mit Behinderungen ist die Werkstatt aber genau jene geschützte Einrichtung, die sie benötigen, Die allgemeinen Anforderungen an einem Arbeitsplatz am ersten Arbeitsmarkt, kann bei bestimmten Behinderungen durchaus nicht von jedem geleistet werden, wobei sich die Behinderungen als solche nicht kategorisieren lassen, sondern von der jeweiligen Behinderung abhängig ist. Die Werkstatt stellt aber kein Markenzeichen dar, wenn es um die Bewertung geht, ob jemand am ersten Arbeitsmarkt arbeiten kann, denn die Werkstatt ist nach gesetzlicher Definition eigentlich eine Einrichtung die Rehabilitationsaufgaben hat, mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen wieder an dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Praktisch gelingt das aber kaum.
Daher ist in der Debatte auch die Diskussion nach einem Mindestlohn entfacht um zumindest die Arbeitsleistungen der Menschen in einer WfbM auch so zu entlohnen, wie es angebracht wäre und dazu gibt es in Deutschland das Mindestlohngesetz. Doch durch die Deklaration der WfbM als eine "Rehaeinrichtung" ist der Arbeitnehmerstatus in einer Werkstatt bis heute nicht gegeben.
"In mehreren Mitgliedstaaten sind Menschen mit Behinderung überwiegend in speziellen Werkstätten beschäftigt. Dies ist ein segregiertes Umfeld, in dem sie oft keinen Arbeitnehmerstatus, keine Arbeitsrechte oder einen garantierten Mindestlohn haben. Dies ist ein klarer Verstoß gegen die UN-BRK. Die Mitgliedstaaten müssen die bestehenden Werkstättenpraxis hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bei der Vermittlung von Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt prüfen. Zudem müssen sie sicherstellen, dass sie an rechtliche Rahmenbedingungen in den Bereichen soziale Sicherheit, Mindestlöhne und Nichtdiskriminierung gebunden sind," schrieb die EU-Abgeordnete der Grünen, Katrin Langensiepien bereits am 27.01.2021 auf ihrer Webseite.
Wie es jetzt bei den Werkstätten weiter geht, dazu hatte sich die Bundesregierung bereits geäußert und wartet momentan auf ein entsprechendes Gutachten, dass noch in diesem Jahr erscheinen soll und dann für die Bundesregierung zur Arbeitsgrundlage wird um ggf. Werkstätten neu aufzustellen und die Bezahlung zu verbessern.
"Das eigentliche Ansinnen der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) konnte bis heute nicht verwirklicht werden. Deshalb muss man nun darüber nachdenken, inwieweit diese Form des geschützten Arbeitsverhältnisses noch den Anforderungen und Zielen einer aufgeklärten und emanzipierten Inklusion gerecht werden kann", erläutert der Leiter Anlaufstelle "Beratung mit Handicap", Dennis Riehle (Konstanz), angesichts der immer wieder aufkommenden Diskussion über die Zeitgemäßheit der WfbM, und fügt an: "Ursprünglich war das Vorhaben, durch die Werkstätten Menschen mit einem Handicap auf den Einstieg oder die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten. Sie sollten ein Zwischenhalt sein, ein Sprungbrett zurück in reguläre Jobs. Tatsächlich sind sie für viele Behinderte zu einer Dauerlösung geworden und beschränken sie in der persönlichen Entfaltung ihrer Interessen, Talente und Träume der Betroffenen", befindet der 37-Jährige. Es wäre deshalb angebracht, über eine rasche und umfassende Weiterentwicklung der WfbM nachzudenken und damit die starre Abgrenzung zwischen der geschlossenen und offenen Berufswelt für Personen mit Beeinträchtigung aufzuweichen, meint Sozialberater Dennis Riehle, und fügt an: „Die Behindertenkonvention gebietet eine Reform!“.
Immerhin konnte mithilfe der Werkstatt nicht erreicht werden, dass Barrieren abgebaut werden - im Gegenteil. Stattdessen wurden Zustände zementiert und Klischees untermauert: "Selbstverständlich sind viele Menschen mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung nicht in der Lage, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen oder den mittlerweile üblichen Stress des Arbeitslebens entsprechend zu kompensieren. Gleichsam ist dies aber keinerlei Grund, sie zu separieren. Wir müssen viel eher fragen, ob es nicht stattdessen am derzeitigen Verständnis von Leistung und Erfolg liegt, dass wir behinderten Menschen einen Einsatz auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht zutrauen und sie stattdessen dauerhaft in WfbM parken. Sind es also nicht die Unternehmerschaft, öffentliche oder private Verwaltung und die vielen sonstigen Arbeitgeber in Deutschland, die umdenken müssen und im Zweifel verpflichtet werden, beeinträchtigten Personen reguläre Jobs zur Verfügung zu stellen, die zwar in gewisser Weise abgeschirmt und durch eine Förderung mit notwendigen Nachteilsausgleichen ausgestattet sind, aber im ersten Arbeitsmarkt anzusiedeln sind? Schließlich ist es gemäß bestehender Übereinkünfte auf internationaler Ebene ja völlig unabdingbar, Menschen mit Handicap die Chance zu eröffnen, an normalen Arbeitsplätzen tätig zu sein und diese im Zweifel derart niederschwellig auszugestalten, dass sie dem Können und den Grenzen des Einzelnen flexibel gerecht angepasst werden können", meint der Psychologische Berater vom Bodensee entsprechend.
Riehle fordert eine deutlich größere Durchlässigkeit: "Orientieren wir uns am Konzept der sogenannten Berufsbildungs- und -förderungswerke, sollten auch WfbM immer eine zeitlich begrenzte Station im Leben eines kranken, behinderten Menschen sein. Sie müssen tatsächlich Orte der Qualifizierung und der Rehabilitation bleiben, in der vor allem Kenntnisse, Persönlichkeitseigenschaften und psychologische Fertigkeiten der Resilienz vermittelt werden, die als Instrumentenkasten den Betroffenen zum Übergang in den Arbeitsmarkt nach spätestens ein bis zwei Jahren befähigen sollten. Es braucht dann auch einen verbindlichen Rechtsanspruch für behinderte Menschen auf eine Eingliederung in reguläre Jobs, wofür wir besonders die Arbeitsagenturen sowie zuständige Ämter und die ‚Integrationsfachdienste‘ entsprechend besser ausrüsten müssen. Es bedarf zudem eine forcierte Anstrengung der Firmen und Behörden, mehr behinderte Menschen einzustellen. Die bereits bestehenden Verpflichtungen müssen auch auf kleinere Betriebe in einer abgespeckten Variante angewendet und auch künftig bei Nichteinhaltung mit Strafabgaben versehen werden. Zudem sollten wir die Kammern ermutigen, den Einstieg in eine etwaige Selbstständigkeit von Menschen mit Handicap zu unterstützen und diesen Personen umfassende Starthilfe in Form von zinslosen Darlehen und nicht rückzuzahlenden Krediten durch KfW, Bund, Länder und Kommunen zu gewähren sowie kostenfreie StartUp-Beratung flächendeckend anzubieten. Zusammenfassend sollten wir zur Selbstverständlichkeit kommen, behinderte Mitbürger auch in Sachen Beruf nicht länger zu bevormunden, sondern sie aus abgesonderten Werkstätten in die Mitte unseres Arbeitslebens zu holen", sagt Dennis Riehle in seinem Plädoyer abschließend.
Autor: kk / © EU-Schwerbehinderung