Experten billigen Nachtragshaushalt mehrheitlich
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In einer Anhörung des Haushaltsausschusses am Dienstag hat die Mehrzahl der Sachverständigen den Regierungsentwurf eines Nachtragshaushalts für 2023 sowie ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse für das laufende Jahr gebilligt, wenn auch teilweise mit Einschränkungen. Die Bundesregierung will mit dem Nachtragshaushalt dem jüngsten Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen.
Der Finanzjurist Alexander Thiele von der BSP Business & Law School Berlin sieht mit dem vorliegenden Nachtragshaushalt dem Karlsruher Urteil „Genüge getan“. Die Bundesregierung sei „erkennbar bemüht, sich aus dem Urteil ergebende Vorgaben zu erfüllen“, sagte Thiele. Dies gelte auch für die Erklärung einer Notlage, um die Schuldenbremse erneut auszusetzen. Sie sei „ausreichend begründet“.
Letztes sahen die meisten Sachverständigen trotz Kritik im Detail ähnlich. So sieht der Heidelberger Lehrstuhlinhaber für Finanz- und Steuerrecht Hanno Kube in der Hilfe für das Ahrtal mittlerweile einen dauerhaft zu finanzierenden Posten, der sich nicht mehr mit einer akuten Notlage begründen lasse. Durch das spät im Jahr erfolgte Karlsruher Urteil sei aber eine „Ausnahmesituation“ entstanden, weshalb die Begründung insgesamt „nachvollziehbar und vertretbar“ sei.
Der Finanzwissenschaftler Berthold Wigger vom Karlsruher Institut für Technologie verwies darauf, dass jetzt, Ende 2023, zwar strenggenommen keine Notlagensituation mehr herrsche, man sich jetzt aber gewissermaßen in die Situation Ende 2022 versetzen müsse, und damals sei eine anhaltende Notlage 2023 noch zu erwarten gewesen. Angesichts dessen erscheine ihm das Vorgehen der Regierung „angemessen“. Es sei „gleichwohl unbefriedigend“, jetzt im Nachhinein die Notlage feststellen zu müssen.
Der Finanzwissenschaftler Thiess Büttner von der Universität Erlangen-Nürnberg interpretierte den Spruch des Bundesverfassungsgerichts so, dass zur Ermittlung des Schuldenstandes alle Defizite aus Sondervermögen auf den Kernhaushalt anrechnet werden müssen. Dies sei beim Nachtragshaushalt aber nicht geschehen. Büttner zufolge ist „ein zusätzliches Defizit aus Sondervermögen von 18 Milliarden Euro nicht berücksichtigt“.
Dagegen hob der Rechtswissenschaftler Joachim Wieland von der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer hervor, dass sich das Karlsruher Urteil nur auf solche Sondervermögen bezogen habe, deren Kreditfinanzierung aufgrund der Erklärung einer Notlage nach der Schuldenbremsenregelung erfolgt sei. Alle somit relevanten Sondervermögen seien im Nachtragshaushalt berücksichtigt.
Jan Keller vom Bundesrechnungshof hingegen schloss sich zwar der Ansicht Büttners an, nannte es aber „nachträglich schwierig“, alle, also auch nicht notstandsfinanzierte Sondervermögen noch im Nachtragshaushalt zu berücksichtigen. Umso mehr aber müssten sie im Haushalt 2024 berücksichtigt werden.
Der Finanzwissenschaftler Fritz Söllner von der TU Ilmenau ging noch weiter und forderte nicht nur die Berücksichtigung sämtlicher Sondervermögen, sondern auch der aus der Allgemeinen Rücklage entnommenen Gelder. Dabei handele es sich, wie Söllner ausführte, um in vergangenen Jahren nicht verwendete Mittel, die auf Folgejahre übertragen worden seien, für deren Verwendung aber gleichwohl Schulden aufgenommen werden müssten. Die tatsächliche Verschuldung sei im Nachtragshaushalt um rund 43 Milliarden Euro für die Entnahme aus der Allgemeinen Rücklage und 14 Milliarden aus Sondervermögen zu niedrig angesetzt.
Dagegen verwies der Trierer Finanzrechtler Henning Tappe darauf, dass „seit Ewigkeiten“ Überschüsse aus einem Haushaltsjahr im Vollzug auf den nächsten Haushalt übertragen und einer Rücklage zugeführt worden seien. Daran habe Karlsruhe nichts beanstandet.
An Rande kam in der Anhörung auch immer wieder die Frage einer Reform der Schuldenbremse zur Sprache. Die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Monika Schnitzer, verwies darauf, dass Deutschland an den Finanzmärkten kein Problem mit der Schuldentragfähigkeit habe. Die Staatsverschuldung sei hier die niedrigste unter den G7-Staaten. Seit der Finanzkrise habe sich der deutsche Schuldenstand deutlich reduziert.
Ziemlich einig waren sich die Sachverständigen, dass sich für den Bundeshaushalt 2024 nur noch schwer eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse mit einer Notlage begründen lassen werde. So verwies Armin Steinbach von der Wirtschaftshochschule HEC Paris darauf, dass die Energiepreise zwar immer noch zweieinhalbfach über dem Niveau vor Corona lägen, er glaube aber nicht, dass damit 2024 noch eine Notlage zu begründen sei. Allenfalls könne er sich eine solche Ausnahme streng begrenzt auf die Ukrainehilfe vorstellen.
Auf Folgen der vom Finanzminister verhängten Sperre neuer Verpflichtungen bis zur Verabschiedung eines neuen Jahreshaushalts verwies Ulrich Schneider vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. So könnten Sozialverbände derzeit keine Aufträge etwa für dringende Baumaßnahmen an ihren Einrichtungen vergeben. Für Freiwilligendienste wie das Freiwillige Soziale Jahr, den Bundesfreiwilligendienst, psychosoziale Beratungen und vieles mehr könnten keine neuen Verträge geschlossen werden. „Wann kommt der Haushalt 2024?“, fragte Schneider daher.
Autor: Bundestag/hib | © EU-Schwerbehinderung/Deutscher Bundestag