Schutz für Personen, die dem Gemeinwohl dienen, strittig
- Lesezeit: 7 Minuten
Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zum besseren Schutz von Personen, die dem Gemeinwohl dienen, vor Angriffen war Gegenstand einer Anhörung des Rechtsausschusses am Montag 14. Oktober 2024. Drucksache: (20/12950) Dabei hat der Entwurf viel Zustimmung im Grundsatz, aber weniger in der konkreten Ausführung gefunden. Vorgesehen ist unter anderem eine Klarstellung im Strafgesetzbuch, dass bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist, ob sich eine Tat eignet, „eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“. Der Straftatbestand der Nötigung von Verfassungsorganen soll künftig neben der Bundes- und Landesebene auch Europa- und Kommunalpolitiker schützen. Zudem soll ein „hinterlistiger Überfall“ als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamtinnen und -beamte sowie Angriffe auf Hilfeleistende etwa der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes, eines Rettungsdienstes oder einer Notaufnahme ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden. Ferner will die Bundesregierung mit dem Entwurf dafür sorgen, dass Vollzugskräfte des Bundes rechtssicher Elektroschockpistolen beziehungsweise Taser einsetzen können.
Ebenfalls zur Begutachtung stand ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion (20/13217) mit ähnlicher Zielsetzung, der insbesondere höhere Strafrahmen vorsieht, sowie ein Antrag der Unionsfraktion (20/13225) mit dem Ziel, den Strafverfolgungsbehörden mehr Befugnisse zur Überwachung der Telekommunikation von Verdächtigen einzuräumen.
Die Sachverständigenliste bestand, ungewöhnlich für eine Anhörung im Rechtsausschuss, nur zur Hälfte aus Berufsjuristen. Die andere Hälfte der Experten sprach für Personengruppen, die sich zunehmend verbalen und körperlichen Angriffen ausgesetzt sieht. So berichtete René Burfeindt vom Deutschen Roten Kreuz von immer mehr gezielten Attacken auf Rettungskräfte sowohl im öffentlichen Raum als auch im häuslichen Bereich. Dabei sei ein Problem, dass hinterher oft „die Beweislast schwer zu erbringen“ sei, weil zunächst die Hilfe für den Notfallpatienten im Vordergrund stehe. Deshalb komme es oft zur Einstellung von Strafverfahren.
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Gassen berichtete, dass die Gewalt in Artzpraxen mittlerweile ähnliche Ausmaße angenommen habe wie die gegen Rettungskräfte. Deshalb sei es notwendig, Ärzte und anderes Praxispersonal in den besonderen strafrechtlichen Schutz einzubeziehen. Zwar komme die Polizei meist schnell, aber, so klagte auch Gassen, oft komme es dann zur Verfahrenseinstellung.
Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt erläuterte, dass verbale Gewalt, also insbesondere Drohungen und Drohgebärden, vor allem von Männern ausgehe und sich besonders aggressiv gegen Mitarbeiterinnen richte. Verbale wie körperliche Gewalt gehe häufig auch von Begleitpersonen aus. Die meisten deutschen Kliniken beschäftigten inzwischen Sicherheitsdienste, was Kosten verursache und eigentlich eine staatliche Aufgabe sei.
Christoph Weltecke, Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, wies auf eine bedenkliche Folge von zunehmender Respektlosigkeit und Aggression hin: Betroffene würden demotiviert, was dem Ehrenamt schade und damit der ganzen Gesellschaft. Weltecke unterstützte daher den vorliegenden Gesetzentwurf, forderte aber auch: „Die bestehenden Regelungen müssen besser angewandt werden.“ Dazu brauche es ausreichend Personal bei Polizei und Justiz.
Die im Gesetzentwurf vorgesehene Einbeziehung von Kommunalpolitikern fand bei Sven Tetzlaff von der gemeinnützigen Körber-Stiftung nachdrückliche Unterstützung. Bei einer Umfrage seiner Organisation hätten vierzig Prozent der ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister berichtet, schon einmal einen Angriff auf sich oder eine nahestehende Person erlebt zu haben. Ein Teil von ihnen stelle sich die Frage, ob sie sich das weiter antun oder sein Amt aufgeben sollen.
Gemeinsamer Tenor der befragten Berufsjuristen war demgegenüber, bei aller Würdigung der Zielsetzung des Gesetzentwurfes, die Warnung vor Überregulierung. Noch am positivsten bewertete Angelika Allgayer, Richterin am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, die vorgesehenen Änderungen. Eine Anhebung des Strafrahmens bei Widerstand und Angriff gegen Vollstreckungsbeamte halte sie für angemessen. Die Aufnahme des „hinterlistigen Überfalls“ als Straftatbestand nannte sie im Wesentlichen gesetzessystematisch überzeugend und zielgerecht.
Andere Regelungen lehnte Allgayer allerdings im Einklang mit anderen Sachverständigen ab. So nannte die Kölner Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik Anja Schiemann die Klarstellung, dass bei der Strafzumessung auch die „Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“ zu berücksichtigen ist, „nicht erforderlich“. Die Gerichte seien auch jetzt schon in der Lage, diesen Gesichtspunkt bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Gegen die Erhöhung des Strafrahmens bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte wandte Schiemann ein, dass die letzte Verschärfung ihr Ziel, einen Rückgang solcher Taten, nicht erreicht habe.
Keinen Vorteil gegenüber der geltenden Rechtslage, vielmehr überwiegend Nachteile wollte Johannes Schrägle von der Neuen Richtervereinigung im Gesetzentwurf erkennen. So sei etwa die Formulierung „dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit“ zu unbestimmt. Wer solle entscheiden, was das ist, fragte Schrägle. Er befürchtet eine „erhebliche Rechtsunsicherheit“ für die Gerichte.
Rainer Spatschek vom Deutschen Anwaltsverein befürwortete, wie auch andere Sachverständige, die Einbeziehung europäischer und kommunaler Funktionsträger in den besonderen rechtlichen Schutz, der für Bundes- und Landespolitiker bereits gilt. Ansonsten befand Spatschek allerdings, dass „alle Handlungen, die hier mit Strafe neu belegt werden sollen, bereits mit Strafe belegt“ seien. Daher bestehe „keine Notwendigkeit“ für die Änderungen.
Die Rechtsanwältin Lara Wolf ging noch weiter und bezeichnete die Strafzumessung danach, ob sich eine Tat eignet, „eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“, als „klar grundgesetzwidrig“. Denn sie verstoße gegen das Doppelbestrafungsverbot. Gegen die Aufnahme des „hinterlistigen Überfalls“ als Tatbestand wandte Wolf ein, dass es sich bei den Taten, um die es hier gehe, um „Spontanreaktionen“ handle und nicht um planmäßiges Vorgehen. Aus demselben Grund hätten auch Strafverschärfungen keine abschreckende Wirkung.
Autor: Bundestag/hib | © EU-Schwerbehinderung/Deutscher Bundestag